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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin
Autoren: Conny Walden
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nicht nur Sonnenstrahlen, sondern auch Kerzenschein. Das Licht flackerte, als die Tür sich öffnete, ohne dass Li jemanden hereingebeten hätte. Oft arbeitete sie bis zu dieser späten Stunde. Nun hatte sie gerade den Knoten gelöst, zu dem sie ihre Haare meist zusammenfasste. Sie fielen ihr lang über die Schultern und schimmerten leicht.
    In der Tür stand niemand anderer als Lorenzo. Er trat näher.
    »So spät noch wach?«
    »Es ist viel zu tun.«
    »Ich habe Euch vom ersten Moment an nicht nur als Handwerkerin, sondern auch als Frau bewundert«, gestand er. »Allerdings war unverkennbar, dass Euer Herz diesem Sachsen gehörte.«
    »Und das tut es immer noch.«
    »Er hat Euch sicher längst vergessen!«
    »Ich werde ihn jedenfalls nicht vergessen, ganz gleich, was geschieht …«
    »Das werden wir sehen!«, meinte er und kam noch einen Schritt näher. »Ihr solltet mir nicht länger aus dem Weg gehen.«
    Er berührte ihren Arm, sie wollte ihn zurückziehen, aber Lorenzo fasste mit einem schnellen, festen Griff zu und zog sie zu sich heran.
    »Ist Euch nicht bewusst, dass Eure ganze Existenz von meinem Wohlwollen abhängt? Wenn ich heute entscheide, dass ich mir nichts mehr aus Papier mache, dann würde mein Vater das hinnehmen, ohne mit der Wimper zu zucken, und sagen: Wieder mal etwas, was mein Sohn angefangen und nicht zu Ende gebracht hat! Aber Ihr würdet viel mehr verlieren …«
    Li entwand sich seinem Griff und stieß ihn von sich. »Ich bin nicht eine von den Frauen, die Euer Vorfahr Ludovico D’Antonio einst in dem Haus einquartierte, in dem jetzt die Werkstatt ist, bis der Rat ihm einen Strich durch sein Geschäft machte, weil er verfügte, dass alle Huren Venedigs nur noch in bestimmten Straßen ihr Gewerbe betreiben dürfen!«
    Lorenzo erstarrte.
    »Woher kennt Ihr diese Geschichte?«
    »Ich höre einfach nur gut zu, wenn bei den Festmahlen schon viel Wein getrunken worden ist. Ich lasse mich nicht mehr kaufen oder verkaufen. Und wenn Ihr glaubt, dass ich mehr verlieren kann als Ihr, dann täuscht Ihr Euch gewaltig! Und nun hinaus!«
    Lorenzo war es offenbar nicht gewohnt, dass ihm jemand die Erfüllung seines Willens verweigerte. Sein Bruder hatte ihn anscheinend treffend charakterisiert. Eine tiefe Furche erschien auf der glatten Stirn, und sein Gesicht wurde dunkelrot.
    »Lorenzo!«, rief jemand. Es war Micheles Stimme. »Lorenzo, wo bist du? Unser Vater sucht dich! Es gibt Schwierigkeiten!«
    »Wir sprechen noch darüber!«, knurrte Lorenzo.
    »So wie über den Kontrakt, den Ihr mir versprochen und nie gegeben habt?«
    »Lorenzo!«, kam es noch ungeduldiger von draußen.
    Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging hinaus auf den Flur.
    Sie sprachen nie wieder darüber. Weder über den Kontrakt noch über die Zurückweisung. Aber Li wusste sehr wohl, dass das eine mit dem anderen zu tun hatte.
    Es wurde ein heißer Sommer, und Li wohnte nun in einem Raum, der zum Werkstattgebäude gehörte. Inzwischen hatte ein Handwerker in einem Dorf an der Küste eine Presse konstruiert, die sich für die Herstellung von Papier eignete. Auch wurden jetzt genug Lumpen angeliefert. Lorenzo ließ ein Heer von Lumpensammlern durch die umliegenden Städte und Dörfer ziehen, denn was auf den venezianischen Märkten zu finden war, konnte ihren Bedarf bei Weitem nicht decken. Außerdem kaufte Lorenzo von befreundeten Händlern immer wieder Lumpen, die per Schiff kamen. Ein halbes Dutzend Tagelöhner verdingten sich damit, von morgens bis abends zerschlissene Gewebe zu zerstampfen, und Li erinnerte sich ihres alten Plans, auch aus Hanf Papier zu machen.
    Entsprechendes Saatgut zu besorgen war in Venedig nicht schwer. So baute Li neben dem Werkstattgebäude auf einer kleinen Fläche Hanf an und hoffte, doch einen Weg zu finden, wie sie die Pflanze für ihr Handwerk nutzen konnte.
    »Habt Ihr bemerkt, dass die Wächter im Palazzo verdoppelt wurden?«, fragte Christos, als sie noch spätabends in der Werkstatt saßen und Li ein aufwändiges Wasserzeichen unbedingt fertigbekommen wollte.
    Li blickte auf. »Nein«, gestand sie. »Darauf habe ich nicht geachtet. Aber mir ist etwas anderes aufgefallen. Nicola D’Antonio spricht in letzter Zeit oft und ernst mit seinem jüngeren Sohn – und zwar so, dass niemand sonst es hören kann. Allerdings fuchtelt er derart mit den Armen in der Luft herum, dass man auch aus hundert Schritt Entfernung erkennt, wie hitzig und unfreundlich es bei dem Gespräch zwischen Vater
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