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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin
Autoren: Aufbau
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zusätzliche Schutzmaßnahme gegen die
nordostroni
, die klirrend kalten, winterlichen Nordostwinde. Das Haus war sogar groß genug, |9| daß man es in drei getrennte Bereiche unterteilen konnte: in einem befanden sich die Schlafstätten des Dorfpriesters und seiner
     Frau; in einem weiteren waren die Tiere zum Schutz vor der strengen Kälte untergebracht – Hrotrud hörte das leise Scharren
     und Kratzen der Hufe zu ihrer Linken –; und schließlich gab es den eigentlichen Wohn- und Arbeitsraum, in dem die Familie
     beisammensaß, in dem die Mahlzeiten eingenommen wurden und in dem die Kinder schliefen. Vom Bischof abgesehen, dessen Haus
     aus Stein errichtet war, besaß niemand in Ingelheim ein schöneres Zuhause.
    Als das Gefühl in Hrotruds Glieder zurückkehrte, begannen sie zu jucken und zu pochen. Sie betastete ihre Finger: Sie waren
     rauh und trocken, doch die bläuliche Farbe der Haut wich allmählich einem gesunden und kräftigen Rot. Hrotrud seufzte vor
     Erleichterung und nahm sich vor, dem heiligen Kosmas zum Dank eine Opfergabe darzubringen. Hrotrud blieb noch einige Minuten
     am Feuer stehen und genoß dessen Wärme; dann – nachdem sie den beiden Jungen aufmunternd zugenickt und ihnen auf die Schultern
     geklopft hatte – eilte sie um die Trennwand herum, hinter der die Frau auf sie wartete, die in den Wehen lag.
    Gudrun war auf ein Lager aus Torf gebettet, das mit frischem Stroh bestreut war. Der Dorfpriester, ein dunkelhaariger Mann
     mit dichten, buschigen Augenbrauen, die ihm einen ständigen Ausdruck von Strenge verliehen, saß ein Stück entfernt. Er begrüßte
     Hrotrud durch ein Kopfnicken; dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem großen, in Holz gebundenen Buch zu, das auf seinem
     Schoß lag. Hrotrud hatte dieses Buch schon bei früheren Besuchen in diesem Haus bemerkt, doch sein Anblick erfüllte sie stets
     aufs neue mit Ehrfurcht. Es war eine Abschrift der heiligen Bibel und das einzige Buch, das Hrotrud jemals gesehen hatte.
     Wie auch die anderen Dorfbewohner, konnte Hrotrud weder lesen noch schreiben. Dennoch wußte sie, daß dieses Buch ein kostbarer
     Schatz war, viel mehr
Gold-solidi
wert, als alle Dorfbewohner zusammen in einem Jahr verdienten. Der Dorfpriester hatte das Buch aus seiner Heimat England mitgebracht,
     wo Bücher nicht so selten waren wie im Frankenreich.
    Als Hrotrud ihre Patientin untersuchte, erkannte sie sofort, daß es sehr schlecht um Gudrun bestellt war. Ihr Atem ging flach,
     ihr Puls raste bedrohlich schnell, und ihr ganzer Körper |10| war gedunsen und aufgebläht. Hrotrud erkannte diese Zeichen. Sie durfte keine Zeit mehr verlieren. Sie griff in ihren Beutel
     und nahm eine bestimmte Menge Taubendung heraus, den sie im letzten Herbst mühsam gesammelt hatte. Sie ging zum Herd zurück,
     warf den Dung ins Feuer und beobachtete zufrieden, wie der dunkle Qualm aufstieg und die Luft von bösen Geistern reinigte.
    Sie mußte den Schmerz lindern, damit Gudrun sich entspannen und das Kind zur Welt bringen konnte. Hrotrud beschloß, zu diesem
     Zweck Bilsenkraut zu benutzen. Sie holte ein kleines, getrocknetes Bündel der winzigen, gelben, purpurn geäderten Blumen hervor,
     legte sie in einen Mörser aus gebranntem Ton und zerstampfte sie geschickt zu Pulver, wobei sie bei dem stechenden Geruch,
     der dabei entstand, die Nase rümpfte. Dann gab sie das Pulver in einen Becher mit kräftigem Rotwein und brachte ihn Gudrun
     zum Trinken.
    »Was willst du ihr denn da geben?« fragte der Dorfpriester, der unvermittelt hinter Hrotrud erschienen war.
    Hrotrud zuckte zusammen; sie hatte beinahe vergessen, daß der Mann bei ihnen war. »Die Wehen haben Eure Frau geschwächt. Dieses
     Mittel wird ihren Schmerz lindern und es dem Kinde erleichtern, aus dem Mutterleib hervorzukommen.«
    Der Dorfpriester machte ein düsteres Gesicht. Er nahm Hrotrud das Bilsenkraut aus der Hand, umrundete die Trennwand und warf
     das Kraut ins Herdfeuer, wo es zischend verbrannte. »Du versündigst dich gegen Gott, Weib.«
    Hrotrud konnte es nicht fassen. Da hatte es sie Wochen anstrengender Suche gekostet, um diese kleine Menge der kostbaren Medizin
     zu sammeln, und nun so etwas! Sie wandte sich dem Dorfpriester zu und wollte ihrem Zorn Luft machen, hielt dann aber inne,
     als sie den harten, kalten Blick in seinen Augen sah.
    »›Zur Frau sprach der Herr: Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. Unter Schmerzen sollst du Kinder gebären‹«,
     sagte er und
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