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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung
Autoren: Graham Masterton
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mies wie die Zucht von Jagdvögeln, nur um sie abzuschießen.
    »Ich glaube, auf dem Dachboden ist eine Ratte«, sagte ich zu ihm, während wir auf dem Kiesweg am Strand weitergingen.
    Er sagte nichts.
    »Wenn wir die Taschenlampe haben, gehen wir nach oben und suchen nach ihr, ja?«
    Er blieb stehen, drehte sich um und sah mich finster an. »Ratten können beißen.«
    »Ja, sicher. Aber wenn man eine dicke Hose und stabile Handschuhe trägt, kann nicht viel passieren. Außerdem haben sie meistens mehr Angst vor uns als wir vor ihnen. Ich habe mal welche in der Kanalisation gesehen.«
    »Ich könnte meine Wasserpistole mitnehmen«, schlug Danny vor.
    Ich nahm seine Hand. »Ja, das wäre nicht schlecht«, sagte ich. »Vielleicht kannst du sie mit roter Tinte füllen, so wie in den Comics. Das sieht dann wie Blut aus, wenn du sie triffst. Und wenn wir sie wieder sehen, wissen wir, mit welcher Ratte wir es zu tun haben.«
    Danny gefiel diese Idee. Er begleitete mich bis zur Vorderseite des Hauses und begutachtete zusammen mit mir ernsthaft die Rhododendronbüsche. Den Zustand des Dachs kommentierte er mit einigen fachmännischen Lauten. Ich liebte den Jungen.
    Er begann, von der Schule zu erzählen und von Button Moon im Fernsehen, und dass er beschlossen habe, bei den Comics auf Beano umzusteigen, weil der jetzt erwachsener war. Er fragte mich, ob es möglich sei, seinen Teddy so hoch zu werfen, dass der in eine Umlaufbahn um die Erde einschwenkte. Wenn er ihn so richtig schnell wirbeln und dann loslassen würde? Er hatte Angst gehabt, es zu versuchen, weil es sein konnte, dass er seinen Teddy für alle Zeit verlieren würde. Seine Mom hatte ihm den Teddy geschenkt, und er
    wäre am Boden zerstört gewesen, wenn er ihn verloren hätte.
    Wir setzten uns auf die weiß lackierte gusseiserne Gartenbank, um über die Gärten in Richtung See zu blicken. Das Gras und das Unkraut waren kniehoch gewuchert. Der Wind wehte uns warm ins Gesicht und zerzauste unser Haar.
    »Manchmal können Leute einfach nicht zusammenleben«, sagte ich ihm. »Sie lieben sich, aber sie können nicht zusammen sein.«
    »Das ist blöd«, sagte Danny.
    »Ja«, stimmte ich ihm zu. »Das ist es.«
    Danny sang leise und ließ die Beine baumeln, und ich blickte beiläufig und neugierig hinüber zum Fortyfoot House. Sogar von hier aus schienen die Winkel des Dachs ungewöhnlich. Ich konnte das Dachfenster meines Zimmers sehen, das nach Süden hin lag, und die Ziegel zu beiden Seiten. Das Sonderbare daran war aber, dass die westliche Wand entgegen meinen Erwartungen völlig vertikal verlief, bis hinauf zur Dachkante, obwohl die Decke in meinem Zimmer auf dieser Seite auch abfiel.
    Mit anderen Worten: Es gab einen abgeteilten Raum, der wie eine auf den Kopf gestellte Pyramide zwischen meiner geneigten Decke und der vertikalen Außenwand des Hauses lag.
    Was diesen Gedanken an einen abgeteilten Raum noch verwirrender machte, war die Tatsache, dass ich unter dem weißen Verputz ganz schwach einen rechteckigen Umriß erkennen konnte, wenn ich meine Augen gegen die Sonne abschirmte. So als habe sich dort einmal ein Fenster befunden, das vor sehr langer Zeit zugemauert worden war. Irgendwann einmal musste mein Zimmer eine gerade Wand nach Westen hin gehabt haben - und ein Fenster, das den Ausblick auf die hohen Fichten ermöglicht hatte, die sich hinter den Erdbeerbeeten erhoben.
    Ich konnte mir keinen vernünftigen Grund vorstellen, warum man dieses Fenster zugemauert und die Decke in meinem Zimmer so geneigt hatte, als würde dort das Dach verlaufen. Vielleicht wegen Trockenfäule oder Feuchtigkeit oder wegen eines Baufehlers, der sich auf die Konstruktion auswirkte. Aber ein Fenster zuzumauern, das schien mir nicht der richtige Weg, um solche Probleme zu lösen.
    Ich sah das Dach so lange gedankenverloren an, bis Danny aufhörte zu singen und mich fragte: »Was ist los?«
    »Nichts«, antwortete ich.
    Er blickte ebenfalls hinauf zum Dach. »Da oben war mal ein Fenster«, erklärte er überzeugt.
    »Stimmt. Man hat es zugemauert.«
    »Warum?«
    »Das habe ich auch gerade überlegt.«
    »Vielleicht wollten sie nicht, dass jemand rauskommen konnte.«
    »Vielleicht«, stimmte ich ihm zu, dann wunderte ich mich: »Wie kommst du auf >rauskommen    »Na ja, das ist zu hoch. Reinkommen kann da keiner«, sagte Danny.
    Ich nickte.
    Es beeindruckte mich immer wieder aufs Neue, wie analytisch Kinder denken. Sie wischen all die Vorwände und Kompromisse beiseite, die
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