Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung
Autoren: Graham Masterton
Vom Netzwerk:
aufgeblasene Gesichter, weiße Ballons mit menschlichem Antlitz, die mich angrinsten. Und ich hörte ein kratzendes, schlurfendes Geräusch, so als wäre ein Hund dicht hinter mir, dessen Pfoten auf dem Asphalt ein leises Klicken verursachten. Ich drehte mich um, und mit einem Mal war ich wach. Ich hörte ein wildes, lärmendes Umhereilen, viel lauter als von einem Eichhörnchen oder einem Vogel.
    Ich befreite mich aus der Decke und setzte mich auf. Die Nacht war heiß gewesen, und meine Laken waren zerknittert und schweißgetränkt. Ein weiteres schwaches, zögerliches Kratzen war zu hören, dann herrschte wieder Stille.
    Ich nahm meine Uhr vom Nachttisch. Es war noch nicht hell, aber das wenige Licht genügte, um zu sehen, dass es 5.05 Uhr war. Jesus!
    Ich schleppte mich aus dem Bett und ging hinüber zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Der Himmel war so weiß wie Milch, und hinter den Eichen zeigte sich auch die See in einer milchig weißen Färbung. Das Fenster meines Schlafzimmers war nach Süden ausgerichtet. Von hier konnte ich den größten Teil des zur See hin abfallenden Gartens sehen, die vernachlässigten Rosenbeete, die Sonnenuhr, dahinter die Stufen, die hinunterführten zum Fischteich, und den Weg, der danach im Zickzack zwischen den Bäumen bis zum hinteren Gartentor verlief.
    Danny hatte bereits herausgefunden, dass es von diesem Gartentor bis zur Küste nur ein kurzer, steil abfallender Spaziergang war, der an einer Reihe hübscher kleiner Cottages mit Blumenkästen voller Geranien auf jeder Fensterbank entlangführte. Am Strand: Steine, eine schaumige Brandung, an Land getriebener Tang und ein kühler salziger Wind, der von Frankreich herübergeweht kam. Wir waren am Abend zuvor dort hinabgestiegen, hatten uns dann den Sonnenuntergang angesehen und mit einem Fischer aus dem Dorf gesprochen, der Schollen und Heilbutt fing.
    Weiter links vom Garten, am anderen Ufer eines schmalen überwucherten Bachs, stand eine zerfallene Steinmauer, dick mit Moos überzogen. Von der Mauer fast völlig verdeckt wurden sechzig bis siebzig Grabsteine - Kreuze und weinende Engel - und eine kleine gotische Kapelle, deren Fenster kein Glas mehr aufwiesen und deren Dach vor langer Zeit eingestürzt war.
    Laut Mr. und Mrs. Tarrant hatte die Kapelle einst Fortyfoot House und dem Dorf Bonchurch gedient, doch mittlerweile fuhren die Bewohner zum Gottesdienst nach Ventnor, falls sie sich überhaupt irgendwohin in eine Kirche begaben. Fortyfoot House stand leer, seit die Tarrants ihr Fliesengeschäft verkauft hatten und nach Mallorca ausgewandert waren.
    Ich fand den Friedhof nicht besonders unheimlich, eher traurig, weil man ihn so hatte verkommen lassen. Hinter der Kapelle erhoben sich die dunklen, einer Zirruswolke ähnlichen Umrisse einer riesigen uralten Zeder, einer der
    größten, die ich je gesehen hatte. Etwas an diesem Baum verlieh der Landschaft eine Aura der Erschöpfung und des Bedauerns, dass es nie wieder so sein würde wie früher. Aber irgendwie verlieh er auch eine Aura der Kontinuität.
    Um diese Zeit am frühen Morgen war der Garten so farblos wie alles andere auch. Fortyfoot House sah so aus wie auf dem alten Schwarzweißfoto von 1888, das im Flur hing. Das Bild zeigte einen Mann, der mit einem schwarzen Zylinder und einem schwarzen Frack im Garten stand. Mir war, als könnte er jeden Augenblick zurückkehren, genau so, wie er dort zu sehen war, farblos, streng, mit einem Backenbart und den Blick starr auf mich gerichtet.
    Ich konnte mir eigentlich einen Kaffee machen; sinnlos, zu versuchen, noch etwas länger zu schlafen. Die Vögel hatten zu zwitschern begonnen, und die Finsternis zog sich so rasch zurück, dass ich schon die schlaffen Tennisnetze auf der anderen Seite des Rosengartens, das mit Flechten überzogene Gewächshaus und die verwilderten Erdbeerbeete erkennen konnte, die im Westen an Fortyfoot House grenzten.
    »Ich hoffe, dass es Ihnen Spaß macht, Mr. Williams, Ordnung im völligen Chaos zu schaffen«, hatte mich Mrs. Tarrant gefragt und durch ihre kleine Sonnenbrille auf ihren Garten geblickt. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass sie Fortyfoot House nicht sehr mochte, auch wenn sie immer und immer wieder erklärt hatte, wie sehr sie es vermisse.
    Ich öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür, um Danny nicht aufzuwecken, der im Zimmer nebenan schlief, dann schlich ich leise durch den schmalen Flur im Obergeschoss. Egal, wo ich hinsah, überall entdeckte ich etwas, das für mich Arbeit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher