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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung
Autoren: Graham Masterton
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da.
    Ich tastete mit meinem Fuß nach der nächsten Stufe, aber egal, wie weit ich ihn nach unten bewegte, ich konnte sie nicht erreichen. Die Treppe kam mir so leer wie ein Aufzugschacht vor. Obwohl ich allmählich in Panik geriet, konnte ich mich nicht dazu durchringen, den Schritt in das scheinbare Nichts zu wagen.
    »Danny!«, brüllte ich. »Danny! Ich bin's, Daddy! Ich bin auf dem Speicher!«
    Ich lauschte, hörte aber keine Reaktion. Danny war so müde gewesen wie ich, und normalerweise konnte ihn nichts wecken, weder schwere Gewitter noch Musik noch seine Eltern, wenn sie sich lautstark stritten.
    »Danny! Ich bin auf dem Speicher! Die Tür ist zugefallen!«
    Wieder keine Reaktion. Ich bewegte mich an der obersten Stufe der Treppe entlang und klammerte mich an das Geländer, das meine einzige Orientierung darstellte. Ich versuchte, meine Augen so sehr anzustrengen, wie es mir nur möglich war, aber es gab nicht das mindeste Licht auf dem Dachboden. Es war schwärzer als unter einem Berg von Bettdecken.
    »Danny!«, schrie ich, hatte aber nicht die Hoffnung, dass er mich hörte. Warum, zum Teufel, konnte ich die Stufe nicht finden? Ich wusste, dass die Treppe steil war, aber nicht so steil. Ich tastete mit meinem Fuß so tief es nur ging, aber ich fand keinen Halt.
    In diesem Moment hörte ich wieder das Schlurfen.
    Es war jetzt wesentlich näher. Derart nah, dass ich instinktiv so weit zurückwich, wie es mir möglich war, ohne das Geländer loslassen zu müssen.
    »Danny«, sagte ich mit gedämpfter Stimme. »Danny, hier ist Daddy.«
    Schlurf.
    Mein Herz schlug einen langen, langsamen Takt. Mein Mund war so trocken wie ein Schwamm. Zum ersten Mal seit den Tagen meiner Kindheit wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich glaube, es war das Gefühl der völligen Hilflosigkeit, das mir mehr Angst machte als alles andere.
    Schlurf.
    Dann hörte ich ein hohes kicherndes Geräusch, als würde jemand in einer fremden Sprache sprechen, die er selbst nicht sehr gut beherrschte. Es war völlig unverständlich. Es konnte ein Mensch gewesen sein, der Thai oder irgendetwas anderes sprach, aber ebenso gut das Quieken eines aufgeregten Tiers, das Blut gerochen hatte.
    »Pssssssttt!«, erwiderte ich. Doch das Kichern hörte nicht auf, sondern wurde eher noch schneller und aufgeregter. Ich hatte das unerträgliche Gefühl, jeden Augenblick sterben zu müssen.
    DANNY. Hatte ich das laut gesagt? Ich wusste es nicht. DANNY, HIER IST DADDY.
    Dann huschte etwas an mir vorbei, etwas, das sich abscheulich, kalt und borstig anfühlte, so groß wie ein zehnjähriges Kind, aber so schwer wie eines mit Ubergewicht. Es kratzte mich mit einer Kralle in den Arm. Ich schrie laut auf, strauchelte und verlor den Halt. Ich stürzte nach hinten, schlug mit der Schulter gegen eine Kiste und hörte das Geschöpf nur Zentimeter von mir entfernt mit einem triumphierenden Zischen vorbeischlurfen.
    Hih-hih-hih-hih-hih!
    Ich rollte mich zur Seite, stieß mit großer Wucht irgendwo in und fiel die Treppe hinunter. Es war, als würde ich von einem dreißig Meter hohen Gebäude in die Dunkelheit stürzen. Mit meinem Fuß hatte ich die Stufen nicht finden können, aber jetzt fand ich sie - auf schmerzhafte Weise. Bis zum Fuß der Treppe erwischte ich jede einzelne Stufe - mit Kopf, Schulter, Hüfte, Ellbogen. Als ich unten ankam und mit dem Knie gegen die Tür stieß, die sich daraufhin öffnete, fühlte ich mich, als habe mich jemand mit einem Cricketschläger zusammengeschlagen.
    Reflektiertes Sonnenlicht blendete mich.
    Oh, Herr!«, rief ich aus.
    Danny stand auf dem Treppenabsatz in seinem gestreiften Schlafanzug von Marks & Spencer und erwartete mich bereits.
    Daddy!«, rief er aufgeregt. »Du bist gefallen!«
    Ich lag rücklings auf dem Teppich, meine Füße befanden sich noch auf der Treppe.
    »Alles in Ordnung«, beruhigte ich ihn, obwohl ich es eigentlich mehr sagte, um mich selbst zu beruhigen. »Das Licht funktioniert nicht, und ich bin gestolpert.«
    Du hast geschrien«, beharrte Danny.
    »Ja«, sagte ich und stand auf, um die Tür zum Dachboden zu schließen und zu verriegeln. War da ein Schlurfen zu hören, auch nur ein leichtes Kratzen?
    Warum hast du gerufen?«
    Ich sah ihn an, dann zuckte ich mit den Schultern. »Die Tür war zugefallen. Ich konnte nichts sehen.«
    »Aber du hattest Angst.«
    »Wer sagt, dass ich Angst hatte? Ich hatte keine Angst.«
    Danny sah mich ernst an: »Du hattest Angst.«
    Ich sah die Tür zum Dachboden länger an
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