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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung
Autoren: Graham Masterton
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Kinderbuch hätte stammen können: ordentliche Cottages und schattige Wege, säuberlich gepflegte Gärten.
    Ich war nie zuvor auf der Isle of Wight gewesen. Wenn man nicht gerade seinen Kindern einen billigen Urlaub am Meer bieten wollte - oder wenn man nicht gerade ein Student der viktorianischen Geschichte war, der einen Blick auf Königin Viktorias Haus in Osborne werfen wollte -, dann gab es keinen vernünftigen Grund, auf die Isle of Wight zu reisen. Es handelt sich um eine kleine Insel in der Form eines Diamanten, vor der Südküste Englands gelegen, mit der Autofähre nur zwanzig Minuten von Portsmouth entfernt. Knapp dreißig Kilometer erstrecken sich zwischen der West-und der Ostküste, vom nördlichsten bis zum südlichsten Teil der Insel sind es gerade mal zwanzig Kilometer. Es ist ein verirrtes Fragment der Hampshire Downs, das von den Römern Vectis genannt worden war.
    Die meisten Städte und Dörfer sind Touristenfallen, mit Cottages und Puppenmuseen, mit Miniaturdampfloks und Flamingoparks. Doch in Richtung Westen gewinnt die Insel mit ihren von Mauern umgebenen Gärten und ihren Zedern allmählich an Höhe und geht in die Sandsteinklippen von Alum Bay und die kirchturmartigen Dachspitzen von Needles über. Von diesen Klippen und damit weit weg von den Menschenmengen, konnte man die wahre Isle of Wight sehen. Eine idyllische Landschaft, die eine seltsame Aura der Zeitlosigkeit ausstrahlt, eine Aura, die heraufbeschwor, dass hier die Römer an Land gegangen waren, dass die Angelsachsen auf den breiten Hügeln Schafe gezüchtet hatten, dass Viktoria und Albert durch die gepflegten Gärten spaziert waren, dass in den zwanziger Jahren Busse auf ihren Ballonreifen und mit ihren steil aufragenden Windschutzscheiben durch die von Hecken gesäumten Straßen gefahren waren.
    Darum gefiel es mir hier, und weil es gemütlich war. Danny gefiel es ebenfalls, und das war das Einzige, was zählte. Vielleicht spürten wir beide, dass wir vor der Realität flohen, die von bankrotten Geschäften und verlorenen Müttern geprägt war, um an einer endlosen goldenen Küste Zuflucht zu suchen, die von Seesternen, Pfützen im Sand und Schaufel und Eimer bestimmt wurde.
    Kurz nach unserer Ankunft hatte ich Janie in Durham angerufen und ihr unsere Telefonnummer gegeben und ihr gesagt, dass Danny wohlauf war. »Du hetzt ihn doch nicht gegen mich auf, oder, David?«
    »Warum sollte ich das? Er braucht eine Mutter, so wie jeder Junge.«
    »Aber du wirst bei ihm nicht den Eindruck erwecken, ich hätte ihn sitzen lassen?«
    »Warum sollte ich diesen Eindruck erwecken? Um Himmels willen, Janie, das Gefühl hat er sowieso schon.«
    Sie hatte schwer geseufzt: »Du hast versprochen, ihn nicht gegen mich aufzuhetzen.«
    »Es geht ihm gut«, hatte ich ihr versichert. Ich wollte mich nicht schon wieder streiten, nicht am Telefon und nicht in diesem Moment. »Ich sehe schon zu, dass ich dich so oft erwähne, wie es angebracht ist.«
    »Und wie oft ist das?«
    »Janie, hör endlich auf, ja? Ich sage dauernd Dinge wie: >Ich frage mich, was Mom jetzt gerade macht.< Oder: >Ich möchte wetten, dass deine Mom dich gerne in dieser Hose sehen würde.< Was soll ich noch tun?«
    Langes Schweigen war die erste Reaktion, dann hatte Janie ernsthaft niedergeschlagen gesagt: »Er fehlt mir so sehr.«
    Ich hatte das Gesicht verzogen, was sie natürlich nicht hatte sehen können. Keine sarkastische Grimasse, sondern eine von diesen Mienen, die man macht, wenn man sein Bestes gegeben hat und es immer noch nicht genug ist, wenn man den Rest seines Lebens mit den schmerzhaften Konsequenzen verbringen muss. »Ich weiß«, hatte ich gesagt. »Ich mache morgen Fotos, wenn wir am Strand sind. Ich schicke dir ein paar.«
    Ohne ein weiteres Wort hatte Janie den Hörer aufgelegt.
     
     
    »Also, was sollen wir heute unternehmen?«, fragte ich Danny.
    Er stand auf den moosüberzogenen Steinplatten der Veranda an der Rückseite des Hauses, die Beine extrem weit gespreizt, die Hände in die Hüfte gestemmt und die Unterlippe vorgeschoben. Diese Haltung nahm er ein, wenn er erwachsen aussehen wollte. Er trug ein rotgrün gestreiftes T-Shirt und eine rote Sporthose mit Gummizug.
    »Erkundungsrundgang«, schlug er vor.
    Ich sah mich um und hielt die Hand vor die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen. »Ich schätze, du hast Recht. Komm, lass uns einmal ums Haus gehen, damit wir wissen, was zu tun ist.«
    »Du hast da einen blauen Fleck«, sagte er und zeigte auf meine
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