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Die Opferung

Die Opferung

Titel: Die Opferung
Autoren: Graham Masterton
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aufs Meer. »Da ist wieder das Fischerboot.«
    In diesem Moment sah ich jemanden aus der Küchentür des Fortyfoot House kommen und selbstsicher und ruhig über die sonnenbeschienene Veranda gehen. Es war ein Mann in einem schwarzen Frack, er trug einen hohen schwarzen Hut. Während er ging, hielt er seine Revers fest und blickte nach rechts und links, als wolle er etwas inspizieren.
    Er erreichte die Mitte des Rasens und blieb stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und er genoss offensichtlich die leichte Brise, die von der See herüberwehte.
    »Hey, Sie da!«, schrie ich. »Ja, Sie da, auf dem. Rasen!«
    Der Mann wandte sich um und blickte zur Kapelle. Sein Gesicht hatte einen düsteren, missbilligenden Ausdruck. Er zögerte einen Moment lang, als überlege er, ob er zur Kapelle und damit zu uns kommen solle, doch dann drehte er sich um und ging zügig zurück zum Haus.
    »Hey«, rief ich ihm nach. »Hey, bleiben Sie stehen!«
    Der Mann nahm aber keinerlei Notiz von mir und ging mit weit ausholenden Schritten in Richtung Haus weiter.
    »Komm, Danny!«, sagte ich. »Wir müssen ihn einholen.«
    Bauz! Da geht die Türe auf, Und herein in schnellem. Lauf, Springt der Schneider in die Stub´, Zu dem Daumen-Lutscher-Bub.
    Wir stiegen von dem Geröllhaufen hinab und zwängten uns durch die Tür. Als wir draußen waren, stellte ich erstaunt fest, dass der Friedhof wieder überwuchert war. Und die Grabsteine standen so wie zuvor dort - umgestürzt, vernachlässigt. Aber sie waren da, sie waren real. Wir eilten den Abhang hinab, balancierten wieder über den kleinen Strom, dann liefen wir nach Luft ringend über den Rasen in Richtung Veranda. Während wir uns dem Haus näherten, sah ich, dass die Küchentür einen Spaltbreit offen stand. Ich wusste ganz sicher, dass ich sie geschlossen hatte, als wir aus dem Haus gegangen waren.
    Ich bedeutete Danny, hinter mir zu bleiben, während ich mich langsam der Küchentür näherte und versuchte, dabei so wenig Geräusche wie möglich zu machen. Ich gab der Tür einen Stoß und ließ sie auffliegen, bis sie gegen die Wand schlug, erzitterte und dann in ihrer Position verharrte. »Wer ist da?«, rief ich. »Ich warne Sie, das ist Privatbesitz!«
    Keine Antwort. Ich hielt inne und lauschte, dann rief ich: »Ich weiß, dass Sie da sind! Ich will, dass Sie rauskommen!«
    Du willst, dass er rauskommt ? Dieser finster dreinblickende Mann mit seinem hohen Hut ?
    Wieder folgte lange Zeit Stille, dann hörte ich plötzlich ein rasches schlurfendes Geräusch aus dem Flur, schließlich öffnete jemand die Vordertür. Ich musste in dem Moment verrückt gewesen sein, denn ich rannte ohne zu zögern durch die Küche und riss die Tür zum Flur auf, um gerade noch zu sehen, wie eine dunkle Silhouette durch die Vordertür des Hauses verschwand und die steile Einfahrt hinaufeilte.
    Ich rannte hinterher, wusste aber, dass ich nicht den Mann mit dem Backenbart und dem großen Zylinder verfolgte. Als ich die Straße erreicht hatte, die hinauf nach Bonchurch führte, sah ich, dass ich einer zierlichen jungen Frau folgte -mit strähnig blondem Haar, einem schwarzen Sweatshirt und Baumwollshorts, mit einem randvollen Turnbeutel über der Schulter.
    Liz, dachte ich. Dies ist der Augenblick, die Gelegenheit. Jetzt kann ich sie vor Fortyfoot House bewahren und vor dem entsetzlichen Schicksal, das hier auf sie wartet. Jetzt kann ich sie vor mir retten.
    Es konnte andere Folgen haben, die genauso schlimm sein mochten, aber wenigstens war Liz in Sicherheit.
    Ich blieb stehen, während sie weiterlief. Ich hörte, wie ihre Sandalen über den heißen Teer schlappten. Dann war sie hinter den Lorbeeren verschwunden. Sie war fort. Ich stand noch eine Zeit lang auf der Straße und sah zu der Stelle, an der ich sie zum letzten Mal gesehen hatte. Mit einem Mal wurde mir klar, dass es mir das Herz brach.
    Danny kam zu mir und fragte: »Wer war das?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, irgendeine Frau. Sie hat mir nicht gesagt, was sie wollte.« Wir gingen zurück zum Haus.
    »Wie wär's mit etwas zu trinken?«, fragte ich Danny. »Unten am Strand gibt es ein Café.«
    »Gin Tonic«, sagte er ernst.
    Der Morgen war warm und friedlich, und während wir Hand in Hand über den Rasen in Richtung Strand gingen, sah ich hinüber zur Kapelle. Etwas war anders, aber zuerst konnte ich nicht sagen, was mich irritierte. Dann erst bemerkte ich, dass die Grabsteine fehlten und dass der Friedhof nichts weiter war
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