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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich
Autoren: Wilfried Eggers
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nickte und schluckte trocken.
    Christa wartete.
    Schlichtmanns Kopf sackte immer tiefer, er schüttelte sich, sah endlich auf und gestand mit klarer Stimme: »Ein Schuss hat sich gelöst, und der hat …«
    »Der hat?«
    »… deinen Mann getroffen, wohin weiß ich nicht genau, aber das Blut …«
    »Und dann bist du abgehauen.«
    »Ja«, flüsterte Schlichtmann.
    »Fahrerflucht sozusagen.«
    »Ja.«
    »Und wie?«
    »Über das Geländer. Nach unten. Und dann hat es auch schon angefangen mit den anderen Schüssen.«
    »Peter hast du liegen lassen.«
    »Ja.«
    »Er wäre fast verblutet.«
    »Ja.«
    »Drei Transfusionen hat er gekriegt.«
    »Ja.«
    »Ein paar Minuten länger und er wäre tot gewesen.«
    »Ja.«
    »Und wieso?«
    »Ich …«
    »Du warst feige.«
    »Ja.«
    »Und deine Pistole?«
    Schlichtmann schwieg.
    »Sag bloß, du hast sie zu Hause in den Schrank gelegt!«
    »Das nicht …«
    »Oder im Stall versteckt.«
    Schlichtmann zögerte.
    »Also im Stall. Und du meinst, wenn die Polizei dich besucht, finden sie die nicht, wie?«
    »Also …«
    Christa stand auf und ging auf und ab. Der Kauz ließ sein Piepen hören, ein Ästling saß seit Tagen im Birnbaum. Sie setzte sich wieder, nahm einen Schluck des kalten Kaffees und steckte sich eine Filterlose an, als säße sie im Lesesessel und läse Oppermanns Hundert Jahre oder den Ivanhoe von Scott.
    Schlichtmann bewegte sich nicht. Als atmete er nicht.
    Christa drückte die zweite Zigarette aus. Sie sagte: »War die Polizei noch nicht da?«
    »Nein.«
    »Was sagst du, wenn sie dich fragt?«
    Schlichtmann zuckte die Schultern. »Ich geh morgen hin. Morgen früh.«
    »Tust du nicht.«
    »Was?«
    »Du machst nichts, Diedrich. Du wartest.«
    »Und wozu soll das gut sein?«
    »Hast du Lust, in den Knast zu gehen?«
    »Habe ich eine Wahl?«
    »Vielleicht.«
    »Aber …«
    »Peter wird es dir nicht übel nehmen, Diedrich. Und wenn er es nicht tut, tu ich es auch nicht. Und Rathjens … warten wir ab. Jedenfalls: Wenn die Polizei dich fragt, verweigerst du die Aussage. Klar?«
    »Aber …«
    »Frag nicht. Geh nach Hause. Warte ab. Und tu mir einen Gefallen: Geh morgen zum Landvolk. Sie sollen die Hofübergabe vorbereiten. Übertrag deinem Sohn den Hof, so bald wie möglich, und beschwer dich nicht, dass er schwul ist! Er ist ein guter Kerl.«
    Schlichtmann war rot geworden. »Aber …«
    »Aber, aber, aber. Geh nach Hause und mach, was ich gesagt habe. Ich bitte dich darum. Ich muss schlafen.«
    Schlichtmann erhob sich.
    »Warte«, sagte Christa. »Eins noch. Untersteh dich, mir irgendwie dankbar zu sein. Okay?«
    Es war dunkle Frühlingsnacht geworden und Christa sah dem Bauern nach, wie seine dürren Beine langsam aus dem Lichtkegel der Außenlampe staksten und im Dunkel verschwanden.
    Dann griff sie zum Telefon, um Arthur Havelack anzurufen, Schlüters alten Freund, den Leiter der psychiatrischen Station des Krankenhauses Hemmstedt.

Epilog
     
    In dem sich der Kreis schließt, wie sich das gehört
 für eine runde Geschichte
     
    Sie hatten einen Spaziergang auf dem Oberdeck hinter sich. Das Meer ruhte sich aus von den Stürmen des Winters, blau und müde, rundherum verschwamm es mit dem Horizont, den die Isländer Ring-der-die-Sicht-teilt nennen. Die Gischt spritzte vom Bug fort und hinter dem Heck warf die Abendsonne ihr Gold in den Schaum der Fahrspur; ein paar Möwen segelten nahebei wie einsame Wanderer, die Gesellschaft suchten.
    Das leise Vibrieren der Schiffsmotoren ließ das Weinglas am Teller klirren. Schlüters Krücke, die er an den freien Stuhl gelehnt hatte, schepperte zu Boden.
    »Prost«, sagte Christa.
    »Na zdrowie«, erwiderte Schlüter und hob die Krücke auf. »Skål!«
    Sie hatten sich etwas geleistet und eine Außenkabine mit französischem Bett genommen. Er wolle nicht nach Helgoland, hatte Schlüter großmächtig verkündet, als Christa ihn aus dem Krankenhaus abholte, mit einer so mickrigen Seereise zu einer so mickrigen Insel sei er nicht zufrieden. Wo er so lange nicht im Büro gewesen sei, komme es auf ein paar Tage mehr auch nicht an. Ein junger Kollege, der es als Schreibknecht im Hinterzimmer bei Dr. Spindelhirn & Collegen nicht mehr ausgehalten hatte, war als Feuerwehr in Schlüters verwaistem Büro eingesprungen. Die Kosten bestritt Schlüter einigermaßen vom Krankentagegeld. Allem Anschein nach kam der Mann mit Angela gut zurecht und hatte sich mit einer Energie, die nur die wiedergewonnene Freiheit verleiht, den liegen gebliebenen
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