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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich
Autoren: Wilfried Eggers
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sich in Reihe, um die Dame ebenfalls mit ritterlichem Handkuss zu begrüßen. Christa verstand ihre Namen ebenso wenig wie Schlüter, der sie ja immerhin schon einmal gehört hatte. Das Ehepaar bat um merk- und aussprachefähige Alternativen: Gregor, Wlodi und Wladi hießen die drei Polen von da ab.
    Die Frau des Hauses erschien in der Tür, eine dampfende Schüssel in den Händen, die sie auf den gedeckten Tisch stellte.
    »To jest bigos! Smacznego!«, rief sie stolz.
    Schlüters wurden genötigt, auf dem Zweisitzer Platz zu nehmen, während sich die drei Herren mit den unaussprechlichen Namen auf das Sofa setzten. Zuletzt erschien ein ebenfalls schwarz gekleideter Alter, der bislang wohl in der Küche gewirtschaftet hatte, mit einen Küchenstuhl, den er an den Wohnzimmertisch schob. Er begrüßte die Neuankömmlinge mit einem gemütlichen Brummeln und brachte auch den Einsitzer heran; die Füße des Sitzmöbels schleiften und scharrten über den Boden.
    »Nicht so laut, Karol«, mahnte die Gastgeberin. »Weißt doch!«
    »Ach, der Kurbjuweit!«, knarrte der Alte nur und ließ sich auf den Einsitzer sinken.
    »Kurbjuweit?«, fragte Schlüter.
    Der Alte schüttelte den Kopf und griff nach der Schüssel. »Jetzt wir essen! Bisschen unbequem, aber mehr Platz als in der Küche.«
    Sie durften sich nicht selbst nehmen; die Alte, die den Küchenstuhl für sich bestimmt hatte – offenbar, damit sie besser hantieren und Nachschub holen konnte –, füllte ihnen die Teller, so viel sie fassten.
    »Kiełbasy spóżniej!«, sagte die Hausherrin. Ihre Augen glänzten wie das Fett auf dem Eintopf.
    »Würste später«, übersetzte Sigismund.
    Man musste also einen zweiten Gang einplanen, wollte man den Magen nicht überfordern.
    »Riecht lecker«, lobte Christa. »Was ist das?«
    »Na Bigos! Sie nicht kennen polnisches Nationalgericht?«, fragte Sigismund. »Das Lücke in Bildung!«
    »Wer ist Kurbjuweit?«, fragte Schlüter.
    »Nachbar«, antwortete der Alte. »Hier bitte, die Kartoffeln. Ziemniaki, proszę«, nickte er seinen polnischen Gästen zu.
    »Und was ist mit dem?«
    »Ach, nichts. Bitte nehmen Sie doch.«
    Aber bevor Schlüter sich selbst bedienen konnte, hatte ihm die Alte drei große Exemplare oben auf den Eintopf gelegt.
    »Smacznego! Guten Appetit!«
    Sie begannen zu essen.
    »Wunderbar«, sagte Christa. »Und wie kocht man das?«
    »Na zdrowie! Prost!«, rief Sigismund, hob sein Wasserglas und sah die andern erwartungsvoll an. »Auf die Freundschaft!«
    »Bitte!«
    Schlüters wunderten sich, doch hoben sie ihre Wassergläser wie die anderen und ließen sie in der Mitte über dem Tisch zusammenklirren.
    Und dann tranken sie.
    Und dann stockte ihnen der Atem.
    Und dann begannen sie zu husten.
    »Aber …«
    Christa klopfte sich an die Brust und schnappte nach Luft.
    »Wódka czysta«, lächelten Gregor, Wlodi und Wladi verständnisvoll.
    »Wódka naturalna«, fügte Sigismund hinzu und schüttelte seine dunklen Locken. »Gehört so.«
    Die Gastgeberin nahm die Flasche vom Wohnzimmerschrank und schenkte nach. »Trinken!«, befahl sie. »Gute woda życzia! Macht lange Läben!«
    »Gutes Lebenswasser«, ergänzte Sigismund und hob sein Glas.
    »Erst das Rezept«, wehrte sich Christa.
    Aus Sauerkraut, Weißkohl, Speck oder Schmalz, Zwiebeln, Rind- oder Schweinefleisch oder beidem, aus Serdelki, einer polnischen Wurst, Pilzen, Paprika, Tomatenmark und Gewürzen bestand der Eintopf. Man musste eigentlich nur alles klein schneiden – das Fleisch in Würfel, die Wurst in dicke Scheiben, den Weißkohl fein und die Pilze blättrig –, den Speck ausbraten oder wahlweise das Schmalz auflösen, die Zwiebeln anrösten, alles mit Paprika, Tomatenmark und dem Sauerkraut in einen Topf geben, so viel heißes Wasser dazugießen, bis alles knapp bedeckt war und mit Salz, Kümmel und Majoran würzen, im gut verschlossenen Topf im vorgeheizten Ofen bei 160 °C oder auf dem Herd auf kleiner Flamme mindestens drei Tage lang jeden Tag eine Stunde, besser länger garen lassen, und schon war der Bigos fertig; nach Belieben mit gekochten Kartoffeln oder mit Brot anrichten.
    »Meine Frau nimmt noch Pflaumen hinein«, ergänzte der Alte, »und etwas Rotwein. Und umrühren muss man viel, sonst brennt es an.«
    »Ja umrühren, das kann er!«, spottete seine Frau.
    Schlüter machte sich an die Arbeit und leerte seinen Teller. Bevor er wusste, wie ihm geschah, füllte die Alte die zweite Portion auf, die der ersten nicht nachstand.
    »Bitte«,
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