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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich
Autoren: Wilfried Eggers
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denn das Fleisch habe ja zu einstmals lebendigen Tieren gehört, zu lustigen quiekenden Schweinchen, wenn er das so formulieren dürfe. Diese Geschöpfe seien vermutlich nicht eines natürlichen Todes gestorben, denn solches Fleisch sei schließlich nicht genießbar. »Es muss ja nicht unbedingt sein, dass Sie es selbst geschlachtet haben, es kann ja auch sein, dass es ein anderer getan hat, womöglich Ihre Gefährten, aber …« Vollmann pflegte seine Befragungsmethode à la Multiple Choice, er begann umständliche Ausführungen, woher das Fleisch stammen, wer es geschlachtet haben könne und zu welchem Zweck es in das verunglückte Auto verbracht worden sei. Möglicherweise habe man das Fleisch ganz in der Nachbarschaft von einem der Bauernhöfe – »wahrscheinlich irgendwo hinten im Moor, nicht wahr« – besorgt, womöglich die Tiere noch selbst zu Tode gebracht, womit er der Wahrheit gefährlich nahe kam, oder man habe es von einem Schlachter gekauft, der sich was nebenbei habe verdienen wollen, oder, was auch nicht auszuschließen sei, das Fleisch könne gar gestohlen worden sein, aus einem Schlachthaus, von einem Schlachter, hier in der Gegend gebe es doch Schlachter, die noch selbst schlachteten, oder oder und ganz am Ende seiner Litanei verstieg sich der Richter zu der Frage: »Sie wollen doch wohl nicht behaupten, dass Sie das Fleisch auf der Autobahnraststätte in Stuckenborstel übernommen haben?«
    »Genau so war es, Herr Vorsitzender«, packte Schlüter zu. »Dort wurde das Fleisch den Mitfahrern meines Mandanten angeboten. Über die Herkunft weiß mein Mandant nichts. Und er selbst war unbeteiligt an dem Geschäft, er hat nur sein Fahrzeug zur Verfügung gestellt.«
    »Ist das Ihr Ernst?«
    »Vollkommen.«
    »Aber das ist doch äußerst unwahrscheinlich!«
    »Schon, Herr Vorsitzender, aber nicht gänzlich außerhalb der Lebenserfahrung, sonst wären Sie sicher nicht darauf gekommen!«
    Und dabei blieb es. Kaczek bekräftigte Schlüters Version, sie sperrten den Richter in seinem Gedankengebäude ein, er hatte sich mit seiner Geschwätzigkeit um ein schönes Urteil gebracht und das Verfahren endete, ohne dass Vollmann Gelegenheit bekommen hatte, ungemütlich zu werden, mit einem Freispruch.
    Erleichtert verließen Schlüter und Kaczek den Gerichtssaal. Vor der Tür trafen sie erneut auf Kuhn, der mit dem geleerten Aktenwägelchen unterwegs war, um neue Ordner herbeizuschaffen.
    »Na?«
    »Freispruch.«
    »Ich sag’s ja! Dieser Vollmann! Zu weich, er hätte …«
    Schlüter lachte und schob Kaczek zur Treppe.
    »Wie war’s denn wirklich?«, fragte er, als sie später in der Fußgängerzone im Café saßen.
    »Rathjens«, erklärte Kaczek kurz. »Kennen Sie bestimmt.«
    »Sie hatten das Fleisch von Rathjens?«, fragte Schlüter und erinnerte sich an Schlichtmanns Litanei über die Boshaftigkeiten seines Nachbarn.
    Rathjens habe dringend Geld gebraucht, erklärte Kaczek, und das Fleisch einem der Kollegen angeboten, dem Włodzimierz, und dann seien sie hingefahren, der Grzegosz habe drei von den Hängebauchschweinen geschlachtet, der kenne sich mit so etwas aus, man habe fleißig Wodka getrunken bei der Arbeit, denn die Därme mussten noch an Ort und Stelle gereinigt werden, sonst sei die Schweinerei zu groß. Und dann, als es ans Verladen gegangen sei, habe man gemerkt, dass man das Fleisch nicht im Kofferraum unterbringen könne, es sei zu viel gewesen, also habe man sich eine Wanne ausgeliehen, die er, Kaczek, gemeinsam mit Władisław, gefüllt mit Därmen und Innereien auf der Rückbank auf den Schoß genommen hätte, aber leider habe der Grzegorz, obwohl er extra wenig getrunken habe, doch nicht mehr so gut fahren können.
    »No ja, und Rest kennen Sie. Aber nun alles ist gut.«
    »Und wo wollten Sie mit dem Fleisch hin?«
    »No ja«, lächelte Sigismund. »Zu Landsleute, bei Ihnen in Hollenfleth, die polnische Wurst machen manchmal, sähr, sähr lecker. Wie Heimat ist. Ist morgen Abend auch wieder Aktion. Kommen Sie mit! Bringen Sie Frau mit! Wir essen und trinken und machen schönen Abend!«
    Kaczek strahlte Schlüter an, seine Zähne blitzten und seine Locken schaukelten unternehmungslustig um seine Schläfen. Manchmal ist das Leben leicht. Man muss es nur kapieren und die Gelegenheiten beim Schopf ergreifen, anstatt Trübsal zu blasen. Ein bunter Abend bei fremden Leuten würde den Frühling lustig machen.
    »Aber ich bin doch nicht eingeladen, Sie können doch nicht einfach …« Und wer
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