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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich
Autoren: Wilfried Eggers
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weiß, vielleicht hatte Christa gar keine Zeit; die Schulferien waren gerade vorbei, und außerdem, der Garten …
    »Macht nix«, wehrte Sigismund ab. »Polnische Leute alles, freundliche Leute, nicht so kalt wie deutsche Leute, freuen sich bestimmt!«

22. Kapitel
     
    In dem Horst Kurbjuweit den letzten Schritt in die Einsamkeit geht
     
    Wieder schurrt und schiebt es in der Wohnung über ihm, es murmelt und brummt, keine Ruhe tags und nachts. Kurbjuweit hat sich an die Geräusche fast gewöhnt. Manchmal überhört er sie sogar. Wie einer, der an der Straße wohnt und die Autos nicht mehr hört.
    Er zieht den Lottoschein vom Stapel und studiert die Zahlen, die er eingetragen hat. Diese Woche hat er zwei Scheine ausgefüllt. Kevin bringt sie weg. Die Ziehung der Lottozahlen kann Kurbjuweit im Fernsehen nicht mehr verfolgen. Das ist vorbei. Er ruft jetzt immer an. Die Red Nine liegt vor ihm.
    Er faltet ein leeres Blatt über der Tischkante und reißt es durch. Und schreibt:
     
    Es ist gefährlich, was ich hier mache! Du kannst da nicht eingreifen! Das ist zu schlimm! Sei aber auf der Hut! Achte auf die Zeichen!! Sie sind da und sie werden kommen! Wie aber soll ich mich dann verhalten?? Weg mit den Ausbeutern! Weg mit den Mächtigen! Weg mit den Sklaventreibern! Das wollen Christen sein? Das sind Sau- und Schweineköppe! Die nächste Sintflut ist vorprogrammiert! Sie kann jeden Tag kommen! Es wird auch Zeit! Rache, Rache, Rache schreit mein Herz!! Dieses verfluchte Pack muss ausgerottet werden! Mit Stumpf und Stiel! Mit Kindern und Kindeskindern! Die kennen nur die Honigseiten des Lebens! Aber ich will keinen umbringen, nein, die sollen vor Missgunst krepieren! 2 x 6 Richtige, das wär das Richtige!! Ha, ha, wäre das schön, denn dann könnte ich diese Arschlöcher so richtig auslachen! Nicht nur die, sondern auch die Nachbarn! Zorro muss wieder reiten! Und sein Colt muss wieder rauchen! Und seine Peitsche muss wieder knallen! Die Zeit der Vergeltung ist angebrochen! Nieder mit diesen teuflischen Kreaturen! Weg mit ihnen! Nicht verzagen, nicht aufgeben! Cuxhaven ist in Sicht und der Seemann prüft sein Sackgewicht! Noch grunzen sie rum wie satte Schweine, die sich in der Suhle wälzen, aber nicht wissen, dass der Schlächter schon sein Messer wetzt!! 2, 19, 21, 45, 26, 29/7!
     
    Erschöpft lässt er den Kugelschreiber sinken. Er wird aufstehen müssen, um bei der Lottostelle anzurufen.
    Kurbjuweit zuckt zusammen. Warum klingelt das Telefon genau in diesem Augenblick, als er gerade selbst telefonieren will? Er hat lange nicht mehr an das Telefon gedacht. Weil Magda lange nicht mehr angerufen hat, denkt es in ihm. Mindestens vier Wochen lang nicht.
    Als es das zweite Mal klingelt, steht er auf von seinem Küchentisch. Ihm wird schwindlig, mit gebeugtem Kopf bleibt er stehen, atmet schwer, wartet. Die Red Nine nimmt er mit, er macht keinen Schritt mehr ohne seine Red Nine, höchstens wenn Kevin da ist, denn Kevin darf die Waffe nicht sehen.
    Es klingelt zum dritten Mal, als er im Flur angekommen ist. Kurbjuweit bewegt sich langsam. Heute ist doch nicht Sonntag? Nein, das letzte Wochenblatt ist vorgestern gekommen, heute muss Montag sein. Oder Freitag? Aber nicht Sonntag. Und Magda ruft immer sonntags an.
    Nach dem vierten Klingeln nimmt Kurbjuweit ab.
    »Ja?«, haucht er in die Muschel.
    »Stachowiak hier. Sie wissen schon.«
    Es ist die knarrende Stimme des schwarzen Bergmannes, des Polen von oben. Kurbjuweit packt die Red Nine fester.
    »Was wollen Sie?«, hört er sich sagen. Seine Stimme klingt fremd, aber sie ist fest. Achte auf die Zeichen!!
    »Ich könnte ja auch zu Ihnen runterkommen …, aber meine Füße sind müde heute. Deshalb rufe ich an.«
    »Was wollen Sie?!«
    »Einladen wollen wir Sie, lieber Herr Nachbar. Meine Frau, sie macht morgen Wurst, morgen Abend. Die Schweinchen sind geschlachtet heute. Und da wollten wir Sie einladen, zum Essen und Probieren, wissen Sie …«
    Kurbjuweit hält den Hörer noch in der Hand. Dass der Schlächter schon sein Messer wetzt …
    »Hören Sie?«
    Kurbjuweit sagt nichts.
    »Morgen Abend um acht, hören Sie, um acht, der Bauer kommt und die andern, und wir würden uns freuen, wenn Sie …«
    Kurbjuweit legt auf, ganz sachte, ganz geräuschlos.
    Wie ist das möglich? Woher wissen sie, was er tut? Kurbjuweit starrt den Apparat an. Eine Wanze, die ihn abhört! Er zieht den Stecker aus der Dose und schafft das Telefon in sein altes Schlafzimmer, wo Radio und Fernseher
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