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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich
Autoren: Wilfried Eggers
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liegen. Er weiß, dass jede Verbindung zur Welt zerschnitten und er ganz allein auf sich gestellt ist. Schon fängt es wieder an, das Schurren und Scharren über ihm, lauter als je zuvor, es ist, als zerre ein keuchender Riese tonnenschwere Lasten über den Boden.
    Morgen Abend!
    Kurbjuweit denkt nach. Er geht sogar ins Wohnzimmer, fast bis zur Balkontür und starrt hinaus auf das Brachland und die Felder. Dann schlurft er zurück in den Flur und in die Küche, setzt sich wieder an den Küchentisch, nimmt den Stift und schreibt:
     
    Diese Höllenbrut muss ausgerottet werden!! Es muss sein!! Hoffentlich klappt es, denn die wollen mich kaputtmachen!
     
    Er steckt den Stift zwischen die Lippen, sucht nach Worten, an denen er sich festhalten kann. Umsonst, er steht müde auf, macht die paar Schritte in sein neues Schlafzimmer, die Red Nine in der Hand; er schlüpft durch die Lücke zwischen den Kartons, durch den schmalen Durchlass ins Dämmerlicht der Höhle und legt sich auf das Bett. Die Geborgenheit beruhigt ihn, obwohl es über ihm schurrt und rumort, wie von schweren Möbeln, die geschoben werden über raue Dielen. Doch weiß er, dass es keine Hoffnung mehr gibt.

23. Kapitel
     
    In dem es auf ein fröhliches Abendmahl geht, das unfröhlich endet,
wie sich der Leser denken kann
     
    »Bist du fertig?«, rief Schlüter nach oben. Es war schon fast acht.
    Er bekam keine Antwort. Christa rauschte mit Wasser im Badezimmer und hörte nichts. Er selbst war bereit und ging im Flur auf und ab. Das Sakko würde er sich überwerfen, sobald es losging. Was hätte ich in meinem Leben erreicht, dachte er amüsiert, hätte ich nie auf meine Frau warten müssen?
    Als sie die Treppe herabkam, lächelnd, schwarz gewandet, mit einem grün glitzernden Schal um die Schultern, der apart mit den grau gewordenen Haaren kontrastierte, trat er an den Absatz und küsste sie.
    »Wunderbar siehst du aus!«
    »Meinst du? Bin ich nicht zu schwarz angezogen?«
    »Keine Spur, Madame, ich liebe Sie!«
    »Und du – wieder grau in grau?«
    Schlüter zuckte die Schultern. Er machte keine großen Unterschiede bei der Bekleidung. Irgendwann hatte er sich einen Satz graue Hosen, graue Hemden, graue Pullover und graue Sakkos gekauft, und seither hatte er es, wenn Altes zerschlissen war, durch Neues ersetzt, das dazu passte, und so war er stets in Grau gekleidet. Man gewöhnte sich schwer an Neues.
    Christa lachte. »Wir sehen aus, als gingen wir zu unserer eigenen Beerdigung!«
    »Na, ganz noch nicht.«
    Tja, das Leben ist kurz, dachte Schlüter, und wenn man auf die sechzig zugeht, ist nicht mehr viel davon übrig. Das merkt man spätestens, wenn man Mitte fünfzig ist, alle Entscheidungen getroffen sind und sich das Gleis, auf dem man fährt, schnurgeradeaus im Nebel verliert. Ich werde pathetisch …
    Die fünf Kilometer nach Hollenfleth hatten sie schnell zurückgelegt. Zur Feldstraße musste man sich durch die gewundenen Straßen eines Wohngebietes durchfummeln. Sie parkten vor einem der Wohnblöcke und suchten nach der richtigen Hausnummer, als sie Sigismund Kaczek vom Laubengang des Hauses gegenüber im zweiten Stock winken sahen.
    »Kommen Sie!«, rief der Pole.
    An der Wohnungstür wurden sie von einer alten, schwarz gekleideten Frau empfangen.
    »Cherzlich willkommen«, sagte die Alte und streckte eine kühle Hand aus. Sie hatte ein kleines Gesicht mit Runzeln und Augen so blau wie ein Bergsee. Hinter ihr tauchte Sigismund Kaczek auf, und als die Alte Platz gemacht hatte, ergriff er Christas Hand und führte sie zu einem Handkuss an seine Lippen.
    »Oh«, kicherte sie und wurde rot.
    Die Wohnung bestand, wie man schnell übersah, aus drei Zimmern, Küche und Bad. Eines der Zimmer lag rechts nach vorn heraus zum Laubengang und wurde offenbar als Schlafraum genutzt, denn die Tür blieb verschlossen, links, ebenfalls zum Laubengang, befand sich die Küche, während die alte Frau sie in den rückwärtigen Teil der Wohnung führte, in ein Wohnzimmer, in dem gedeckt war. Ein schwerer Fleisch- und Blutgeruch, den man in Würfel schneiden und stapeln konnte, erfüllte die Wohnung. Eine Filiale des Schlachthauses, das war klar.
    Im Wohnzimmer erhoben sich drei Herren, setzten ihre Wassergläser auf dem Tisch ab und lachten die Neuankömmlinge aus runden Gesichtern freundlich an. Die Herren wurden von Sigismund Kaczek als seine Unfallkumpane vorgestellt: Grzegorz Szczepański, Włodzimierz Wojciechowski und Władisław Przybyszewski. Sie formierten
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