Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin
Autoren: Colin Falconer
Vom Netzwerk:
vermeinte, wieder Herr der Lage zu sein und Einfluss auf sie zu haben.
    Allerdings fürchtete ich, dass sie in allem Recht hatte, was den Bischof betraf.
     
    *
     
    Ich erhob mich, wärmte meine Gliedmaßen erneut am Kamin und fand langsam Gefallen an diesem Thema. Ich erzählte Madeleine von Augustinus und Benedikt von Nursia, um zu veranschaulichen, was wahre Gottesliebe bedeutet und was sie mit sich bringt. Während ich dies tat, gab mir der Erzfeind viele lüsterne Visionen ein, um mich zu quälen und in Versuchung zu führen. Aber ich klammerte mich an die Weisheiten des Augustinus wie ein Ertrinkender an ein Stück Treibholz. Nach einer Weile spürte ich, wie Madeleines Macht über mich schwächer wurde.
    Ich verwandte schließlich immer weniger Zeit darauf, den Widerschein des Feuers auf ihrem Haar zu beobachten.
    Doch gerade als ich das Martyrium der Heiligen Agnes ansprechen wollte, blickte sie mir direkt ins Gesicht und sagte: »Ich habe Visionen, Vater. Ich sehe Dinge, die ich nicht sehen sollte.«
    Ich erstarrte, als hätte mir jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Mir wurde klar, dass sie mir überhaupt nicht zugehört hatte. Zunächst vermutete ich, dass es sich bei diesen angeblichen Visionen um ähnlich sündhafte Fantasien handelte wie jene, die mich während meines gesamten Besuches plagten.
    »Ihr müsst darum beten, von diesen Visionen erlöst zu werden«, sagte ich.
    »Das habe ich schon getan. Aber sie kommen dennoch zu mir.«
    »Welcher Gestalt sind sie denn?«
    Madeleine schüttelte den Kopf. »Das kann ich Euch nicht erzählen, Vater.«
    »Warum nicht?«
    »Ihr würdet es als Gotteslästerung auffassen.«
    »Das müsst Ihr mich schon selbst beurteilen lassen.«
    Ich starrte in diese unergründlichen grünen Augen und wartete gespannt.
    Nach einer Weile sagte sie: »Mir ist eine Frau erschienen, die aussah wie die Jungfrau Maria. Ich glaube jedoch nicht, dass sie aus Fleisch und Blut war.«
    Wieso war ich dermaßen enttäuscht? Was hatte ich hören wollen? Ein Liebesgeständnis?
    Ich suchte nach Worten. »Wo? Wo habt Ihr dies gesehen?«
    »Einmal in der Kirche von Saint Gilles, als ich für meine kranke Mutter betete. Und einmal vor der Kirche, spät am Abend.«
    Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte. Ich war erschüttert. »Was veranlasste Euch zu dem Glauben, diese … Vision … sei die Jungfrau Maria?«
    »Es war ihre Statue in der Kirche, Vater. Sie stieg von ihrem Sockel herab.«
    »Sie bewegte sich?«
    »Ja, Vater.«
    »Pure Einbildung!«
    »Ja, Vater.«
    Ich verspürte das verzweifelte Bedürfnis, Madeleine zu berühren, und merkte, wie sich meine rechte Hand unwillkürlich zur Faust ballte. Wie konnte ich an so etwas auch nur denken? »Hat sie zu Euch gesprochen?«, hörte ich mich selbst fragen.
    »Ja. Ich fühlte ihre Worte hier, in meinem Herzen.«
    Sie führte eine Hand zu ihrer Brust. Ich starrte die Stelle an, auf der sie zu liegen kam.
    »Ihr müsst zur Beichte gehen.«
    »Dann ist es also eine Sünde?«
    »Natürlich ist es eine Sünde!«
    »Aber ich habe keine Macht über diese Dinge.«
    »Das ist unwichtig.«
    »Vater?«
    »Ja?«
    »Ist es unrecht, einem Priester dieselben Gefühle entgegenzubringen wie einem gewöhnlichen Mann?«
    Ich sprang auf die Füße, wobei ich nicht nur meinen Stuhl umstieß, sondern auch den Glühwein auf dem Boden aus festgestampfter Erde verschüttete. Wir starrten einander an. Einen Augenblick lang zögerte ich.
    »Euch ist nicht zu helfen!«, rief ich dann und floh ohne ein weiteres Wort aus dem Haus.

MADELEINE
    Ich weiß nicht, was er Euch von unserer Begegnung erzählt hat. Es hat sich so zugetragen, wie ich im Folgenden darlegen werde.
    Ich gestehe, dass ich nicht viel von ihm hielt, als ich ihn zum ersten Mal unser Haus betreten sah. Ich erkannte ihn sofort als einen Dominikanermönch, denn er trug das weiße Gewand des Piedmont unter dem schwarzen Umhang der Kanoniker des Augustinus. Seine Hände fielen mir zuerst ins Auge. Sie waren glatt, weich und weiß, ganz anders als die meines Vaters. Es waren Hände, die nur Bücherseiten umblättern und sich sanft im Gebet verschränken konnten.
    Er kam mir aufgeblasen vor wie die meisten Geistlichen. Er hatte strahlend blaue Augen, die jedoch nur verstohlen in meine Richtung blickten. Ich erkenne stets, wenn ein Mönch mir gegenüber wollüstige Gedanken hatte. Nur sehr wenige Geistliche haben unseren Respekt verdient, und das ist eine Schande, denn Gott
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher