Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin
Autoren: Colin Falconer
Vom Netzwerk:
von Bruder Subillais’ Brief verhinderte vermutlich wirkungsvoll eine Untersuchung bezüglich seines Todes. Der Brief würde in Rom reines Entsetzen hervorrufen und umgehend verbrannt werden, dessen war ich mir sicher. Es stimmte, was Bruder Subillais in der letzten Nacht seines Lebens mir gegenüber angedeutet hatte: Keiner von uns will die Wahrheit wissen, denn sie könnte unserem Glauben im Weg stehen. Ich wollte die Wahrheit nicht wissen, auch Bruder Subillais hatte sie sicherlich nicht wissen wollen, und der Heilige Vater in Rom würde mit Grausen vor ihr zurückweichen. Wir hatten unsere Religion, und sie leistete uns gute Dienste, darin war kein Platz für alte Gebeine.
    Und Bruder Bernard Donadieu – woran glaubt er jetzt? Er glaubt selbstverständlich an die Kirche. Er glaubt, dass sich in einer Gebeinurne irgendwo in Rom die Knochen eines Juden befinden, der zu Zeiten der Cäsaren starb, mehr nicht. Mein Glaube ist stark, ich werde bis zum Ende meiner Tage die Mönchskutte tragen und die Häresie bekämpfen. Fragt mich nie wieder nach Madeleine de Peyrolles – ich habe nun ein Leben lang Zeit, für meine Sünden zu büßen, und ich fürchte, selbst das ist nicht genug.

MADELEINE
    Wir versteckten uns beinahe eine Woche lang in der verlassenen Hütte, dann erst war Sicard der Meinung, dass es mir wieder gut genug ging, dass ich die Strapazen der Reise auf mich nehmen konnte. Natürlich war es Bernard gewesen, der ihm gesagt hatte, wo er mich finden konnte. Ihm hatten wir auch den Maulesel zu verdanken. Wir waren sicher, dass die Söldner des Seigneurs nach uns suchen würden.
    Wir waren drei Tage bis zur Grenze nach Aragon unterwegs. In den Tälern mochte zwar bereits der Frühling angebrochen sein, in den Bergen herrschte jedoch immer noch Winter, und die Reise war keineswegs ungefährlich.
    Wir wären wohl für jeden guten Christen ein vertrauter Anblick gewesen – eine Frau, die neues Leben in sich trägt und auf einem Maulesel sitzt, der von ihrem Mann geführt wird. Doch wir flohen in eine ungewisse Zukunft. Falls wir nicht den Männern des Seigneurs zum Opfer fielen, dann vielleicht den Unbilden des beharrlichen Winters.
    Wie weit, wie lange wir an jenem Morgen bereits gereist waren? Ich erinnere mich nicht. Mein Martyrium hatte mich dermaßen geschwächt, dass ich ständig einer Ohnmacht nahe war und Mühe hatte, mich auf dem Reittier zu halten. Mein Körper war taub vor Kälte, trotz des Umhangs aus Bärenfell, den Bernard mir gegeben hatte. Selbst mein Geist kam mir vor wie eingefroren. Ich war zu erschöpft, um zu denken oder zu fühlen. Wenn Sicard mir sagte, ich solle auf den Maulesel steigen, dann tat ich es, und wenn er mir sagte, ich solle absteigen, gehorchte ich ebenfalls.
    Aber mein Geist war nicht vollkommen leer. Manchmal dachte ich an Bernard.
    Schnee bedeckte den Bergpass. Alles war still, bis auf das gelegentliche Krachen, wenn der Ast einer Tanne unter seiner weißen Last brach. Sicard zog zitternd seinen dünnen Umhang enger um sich. Er lief mit gebeugtem Kopf neben mir her, wie ein alter Mann.
    Plötzlich hielt er abrupt inne.
    Auf dem Weg vor uns befand sich ein Reiter. Er trug einen Mantel mit Kapuze und saß auf einem schwarzen Zelter. Sein Gewand war voller Schnee. Selbst nachdem er uns erblickt hatte, rührte er sich nicht. Er sah aus wie festgefroren. Sein Pferd scharrte mit einem Huf auf dem Boden und schnaubte leise.
    Ich fragte mich, wie lange er schon dort auf uns gewartet hatte.
    »Ich wusste genau, dass Ihr nicht tot seid, auch wenn alle das behauptet haben.«
    Sicard ließ die Zügel des Maulesels fallen und schritt dem Reiter entgegen.
    »Was wollt Ihr?«
    Maurand trug das gelbe Kreuz auf seinem Mantel. Der feine Bürger war nun ein Häretiker und auch als solcher zu erkennen. »Ich bin gekommen, um diese Angelegenheit zu Ende zu bringen«, sagte er.
    Sicard lachte. »Glaubt Ihr etwa, dass Ihr uns aufhalten könnt?«
    Maurand gab keine Antwort.
    Sicard schüttelte den Kopf. »Ihr seid ein Narr.« Er kam zu mir zurück, nahm wieder die Zügel in die Hand und führte uns an Maurand vorbei, ohne noch einmal aufzusehen.
    Doch auch ein ungeschickt geworfener Dolch ist immer noch ein Dolch, und er traf Sicard unterhalb des Schulterblatts. Sicard keuchte und ging in die Knie. Ich rutschte vom Maulesel und versuchte, ihn aufrecht zu halten, aber er war zu schwer für mich und fiel mit dem Gesicht voran in den Schnee.
    Maurand packte mich und schleuderte mich beiseite. Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher