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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin
Autoren: Colin Falconer
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widmen möchte, nur weil sich dieses Leben vielleicht als schwierig erweisen könnte?«
    »Es genügt nicht, Gott zu lieben. Wenn Ihr die Gelübde ablegen wollt, müsst Ihr über eine ausreichend robuste Disposition verfügen, um ihm Euer Leben lang zu dienen und nicht nur für ein oder zwei Jahre.«
    »Ihr meint so wie Bischof Guillaume?«
    »Ihr habt doch sicherlich nicht vor, Bischof zu werden, oder?« Er lächelte, und dieses Lächeln erhellte sein ganzes Gesicht und verwandelte es. Es war, als würden Sonnenstrahlen durch eine Sturmwolke brechen. Ich verspürte ein Gefühl in meinem Bauch, als würden sich dort nackte, neugeborene Welpen tummeln.
    »Ich glaube nicht, dass ich die Kraft dazu hätte. Nach einer Woche wäre ich gewiss erschöpft von all der Zecherei und Unzucht.«
    »Das ist Blasphemie!«, rief er, und diesmal konnte ich sehen, dass er aufrichtig bestürzt war, obwohl er mir nicht widersprach.
     
    *
     
    Er verstand mich nicht im Entferntesten. Er dachte, ich sei irgendein dummes Mädchen, dem die Geschichten von heiligen Märtyrerinnen wie Agnes und Agathe zu Kopf gestiegen waren. Aber ich registrierte, dass seine Stimme hypnotisch klang, und als er über die Liebe zu Gott sprach, leuchtete sein Gesicht von innen her. Ich hätte ihm den ganzen Tag lang zuhören können.
    Obwohl ich seinen Worten lauschte, begriff ich kaum etwas. Es waren sein Gesicht und sein Tonfall, die mich verzauberten, nicht der Kern dessen, was er sagte. Während er von seiner Liebe zu Gott sprach, verliebte ich mich in ihn. Und als er sich über die unsterbliche Seele äußerte, dachte ich daran – zu meiner Schande muss ich es gestehen –, wie es wäre, seine Arme um meinen Körper zu spüren.
    Ein Mann der Kirche würde jetzt erkennen, dass der Erzfeind von mir Besitz ergriffen hatte. Er würde behaupten, dass ich diesen Mönch umgarnen wollte, nicht obwohl, sondern weil er ein Priester war. Womöglich steckt darin ein Funken Wahrheit. Ich beteuere jedoch, dass ich nicht die Absicht hatte, sein Verderben herbeizuführen. Zum ersten Mal in meinem Leben genoss ich die Gegenwart von etwas Gutem, Edlem. Ich empfand Wärme in meinem Inneren und Aufruhr in meinem Herzen. Vielleicht war dies das Werk des Teufels – ich persönlich halte es allerdings für bloße Zuneigung.
    Ich unterbrach den Mönch, um den Zauber zu lösen, und hörte mich selbst sagen: »Ich habe Visionen, Vater. Ich sehe Dinge, die ich nicht sehen sollte.«
    Er hielt inne und starrte mich überrascht an. »Welche Art von Visionen, Madeleine?«
    »Mir ist eine Frau erschienen, die aussah wie die Jungfrau Maria. Ich glaube jedoch nicht, dass sie aus Fleisch und Blut war.«
    »Wo? Wo habt Ihr diese Dinge gesehen?«
    »Einmal in der Kirche von Saint Gilles. Als ich für meine kranke Mutter betete. Und einmal vor der Kirche, spät am Abend.«
    »Was veranlasste Euch zu dem Glauben, diese … Vision … sei die Jungfrau Maria?«
    »Es war ihre Statue in der Kirche, Vater. Sie stieg von ihrem Sockel herab.«
    »Sie bewegte sich?«
    »Ja, Vater.«
    »Pure Einbildung.«
    »Ja, Vater.«
    Er schwieg lange und fragte dann: »Hat sie zu Euch gesprochen?«
    »Ja. Ich fühlte ihre Worte hier, in meinem Herzen.« Ich führte eine Hand an meine Brust.
    Er starrte mich mit leicht geöffneten Lippen an. Ich erwartete, dass er mich im nächsten Augenblick ein dummes Kind schelten würde. Dass er mir zu verstehen geben würde, dass die Jungfrau niemals zu einem gewöhnlichen Mädchen wie mir spricht. Und dass ich Buße tun müsse, weil ich derartige Geschichten erfand.
    Stattdessen sagte er: »Ihr seid sehr schön, Madeleine.«
    Es war wohl nicht seine Absicht, dies laut auszusprechen. Ich glaube, es erschütterte ihn ebenso sehr wie mich, dass ihm diese Worte über die Lippen gekommen waren. Nachdem ihm klar geworden war, was er gesagt hatte, sprang er auf die Füße, wobei er den Stuhl umstieß und seinen Wein verschüttete, und stürzte ohne ein weiteres Wort aus dem Haus.
     
    *
     
    Die Kirche von Saint Gilles ist der Ort, an dem das Papsttum seinen ersten großen Sieg in unserem Sprachraum errang. Viele Jahre ist es her, dass Raymond, einer unserer Grafen, hierher kam, um für den Mord an einem päpstlichen Legaten Abbitte zu leisten.
    Man sagt, dass drei Erzbischöfe und zwanzig Bischöfe als Zeugen zugegen waren und dass die Geistlichen von allen Seiten herbeiströmten und sich in der Kirche und auf dem Vorplatz drängten. Nackt bis zur Hüfte, mit einer Schlinge um
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