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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin
Autoren: Colin Falconer
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Prior sprach mich von meiner Sünde los und erlegte mir als Buße zehn Vaterunser auf. Beschämt und mit einem Gefühl der Leere verließ ich ihn. Ich allein wusste, wie sehr ich ihn getäuscht hatte. Aber Gott konnte ich nicht täuschen.
    Wir sind niemals völlig allein. Er ist immer da und wacht über uns. Er sieht all unsere Taten und kennt jeden einzelnen unserer sich windenden Gedanken, selbst wenn unsere Herzen das Licht scheuen wie ein Käfer, den man unter seinem Stein gestört hat.
     
    *
     
    Ihr nehmt nun vielleicht an, dass ich das Haus des Steinmetzes nicht wieder betrat, da dies eine Torheit gewesen wäre und eine Katastrophe geradezu herausgefordert hätte.
    Doch nur eine Woche später tat ich genau das. Ovid schreibt: »Nach dem Verbotenen streben wir stets, das Versagte begehrend.«
    Aber zuerst suchte ich noch einmal Anselm auf, der begierig war zu erfahren, wie mein Gespräch mit seiner Tochter verlaufen war.
    »Hat sie Euch gegenüber weiterhin ihrem Wunsch Ausdruck verliehen, Nonne zu werden?«, fragte ich ihn.
    »Nein, Vater. Sie wirkt allerdings sehr gedankenverloren. Überhaupt nicht mehr wie sie selbst. Sie spricht kaum noch.«
    Vergebt mir, aber ich hörte diese Worte mit einiger Genugtuung. Nicht der Mönch war es, den dieser Stand der Dinge befriedigte, sondern der Mann in mir.
    »Ich glaube, dass ich einigen Fortschritt erzielt habe, aber ich werde noch einmal mit ihr reden müssen.«
    »Natürlich, Vater.«
    »An diesem Sonntag«, erklärte ich und überließ ihn seiner Arbeit, bevor mein Blick mich verriet.
     
    *
     
    Und erneut hieß mich Anselm voller Demut und Respekt willkommen, in dem Glauben, dass ich in seinem Interesse handelte. Madeleine jedoch wirkte erstaunt über meinen unerwarteten Besuch, wie Ihr wohl verstehen werdet. Und ich empfand einen Schauer schuldbewussten Vergnügens, sobald ich sie sah. Allein ihr Anblick genügte mir. Ich gedachte nicht weiter zu sündigen und hatte mir deshalb geschworen, dass dies das letzte Mal sein würde.
    Im Anschluss an diesen Tag würde ich meine Dämonen bezwingen und mich von ihr befreien.
    Doch sie schien mir tatsächlich übermäßig blass zu sein, ganz wie ihr Vater es geschildert hatte. Ihre grünen Augen wirkten umwölkt, ihr Blick bekümmert. Wahrend ich die gemurmelten Ehrerbietungen Anselms und seiner Frau über mich ergehen ließ, brachte Madeleine kein Wort hervor. Mir wurde bewusst, dass ich Macht über dieses Mädchen besaß, und mit dieser Erkenntnis wuchs die Versuchung, bis ich ihr nicht mehr zu widerstehen vermochte.
    Bald darauf zogen sich ihre Eltern in den oberen Raum zurück. Wieder saßen wir allein am Feuer. Ich begann, sie über die verschiedenen Arten der Gottesliebe zu belehren.
    »Nun, Madeleine«, hob ich an. »Habt Ihr über unsere Unterhaltung neulich nachgedacht?«
    »Ja, Vater. Ich habe seither an nichts anderes mehr denken können.«
    »Und habt Ihr gebetet?«
    »Aus vollem Herzen.«
    »Genau wie ich. Ich bat Gott um die Kraft und Einsicht, Euch in dieser Sache richtig unterweisen zu können. Hattet Ihr weitere Visionen?«
    »Nein, Vater.«
    »Das ist gut.« Nach außen hin wirkte ich wahrscheinlich ruhig, doch ich war nicht in der Lage, ihr in die Augen zu blicken.
    »Aber Vater …« Sie sah mich eindringlich an. In ihren grünen Augen spiegelten sich die Flammen. Natürlich war dies ein Omen, eine Vorahnung jenes Ortes, an den diese Augen mich führen würden. »Aber Vater, ich leide Qualen.«
    »Was quält Euch denn?«
    »Könnt Ihr Euch das nicht denken?«
    Ich wusste, dass Gott, unser Herr Jesus Christus und der Heilige Dominik über mich wachten, und schöpfte Kraft aus ihrer Gegenwart. Dann begann ich mit der Rede, die ich mir vor meinem Besuch zurechtgelegt hatte. Ich kam auf meine Studien der Werke von Hieronymus und Paulus zu sprechen und zitierte die Lebensdarstellungen der jungfräulichen Märtyrerinnen. Ich erklärte Madeleine, dass die Liebe zu Gott von sehr viel größerer Bedeutung sei als die Liebe, die zwei Sterbliche füreinander empfinden können.
    Inzwischen weiß ich, dass ich nicht Madeleine davon zu überzeugen suchte, sondern mich selbst.
    »Ihr scheint mir heute sehr erregt zu sein, Vater«, unterbrach sie mich in meinem Diskurs über die Auffassung des Heiligen Augustinus bezüglich der Natur der Liebe.
    Ich konnte sie nur anstarren. Dass die Tochter eines Steinmetzes, dass überhaupt eine Frau sich eine Bemerkung über das Verhalten eines Mönchs erlaubte, zeugte von
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