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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure
Autoren: Christa S. Lotz
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aus feinem Tuch, ein ebenso feines Wams, ein Atlashemd und einen schwarzwollenen Mantel. Christoph schnitt sich mit dem Messer die Locken ab, rasierte sich und kleidete sich neu ein. Es war besser, wenn er sein Äußeres ein wenig veränderte; niemand wusste, ob die Gegner der Reformation sich an seine Fersen geheftet hatten. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und er verspürte Hunger.
    In der Gaststube waren lärmende Zecher versammelt. Die Wirtin brachte Christoph einen Krug Bier, einen viertel Laib Brot und eine geräucherte Wurst. Einer der Zecher schaute zu ihm herüber.
    »Was seid Ihr denn für einer?«, grölte er. »Ihr schaut ja aus wie ein Italiener.«
    Der Schmied kam aus der Küche und erklärte: »Das ist Enrico Calvacci. Er wird von Mittenwald aus mit den Rottfahrern nach Venedig gehen.«
    »Kann er nicht selbst antworten?«, schrie der Zecher.
    »Es ist so, wie der Schmied sagt«, gab Christoph zurück. Ihm war unbehaglich zumute, doch er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.
    »Bist du nicht öffentlich der neuen Lehre dieses Martin Luther angehangen? Verdammt sei meine Seele, wenn ich dieses Gesicht nicht auf einem der Flugblätter gesehen habe.«
    »Ihr müsst mich verwechseln«, sagte Christoph. Das Herz pochte ihm bis zum Hals. Gab es tatsächlich schon einen Steckbrief von ihm? Davon hatte er nichts gewusst.
    »Ihr wart derjenige«, beharrte der Mann. »Ich war kürzlich im Württembergischen und muss es doch wissen!«
    »Gar nichts weißt du«, herrschte ihn der Wirt an. »Du hast nur mal wieder zu tief ins Glas geschaut und siehst Gespenster!«
    Dröhnendes Lachen der Männer folgte auf diese Worte, und der Sprecher wandte sich kleinlaut seinem Bierkrug zu.
    An einem anderen Tisch saßen Pilger; die Jakobsmuscheln am Hut deuteten darauf hin, dass sie aus Santiago de Compostela kamen. In die Stille hinein sagte einer von ihnen: »Die Türken haben eine ordentliche Streitkraft, sie sind wild und verwegen, das hat uns jeder auf dem Jakobsweg erzählt.«
    »Das sind Vielweiberer«, kam es vom Tisch der Zecher. »Sie rauben Christenkinder und erziehen sie zu Sklaven!«
    »Sie sind schon in Gefahr, die christlichen Inseln und Seestädte«, antwortete der Pilger. »Aber haben wir nicht aus dem Grauen des unendlichen Meeres neue Goldländer heraufziehen sehen, paradiesische Landschaften, braune Völker, die von Gott nichts wussten?«
    »Von dem Gold habe ich nie was gesehen«, krähte der Zecher. »Das haben sich die da oben unter den Nagel gerissen.«
    »Dafür haben die Seefahrer ihr Leben riskiert, und die da oben haben diese Reisen finanziert«, gab der Pilger mit einem freundlichen Lächeln zurück. »Viel mehr beunruhigt mich die Botschaft aus Italien, dass die Südländer unzufrieden mit dem Papst seien. Die Käuflichkeit der Ämter ist zwar mit dem Trienter Konzil geregelt worden, aber nach wie vor sind die Hirten der Kirche viel zu lasterhaft.«
    Der Wirt kam aus der Küche und bahnte sich seinen Weg, zwei Bierkrüge in den Händen. Er zwinkerte Christoph zu.
    »Das steht Euch nicht zu, darüber zu urteilen«, dröhnte der Zecher, der das große Wort führte. »Viel schlimmer sind die wandernden Gesellen, die das gedruckte Wort der Kirchenfeinde in viele deutsche Städte und in das Ausland tragen.«
    »Wollt Ihr etwa behaupten, die Buchdruckerkunst sei zum Schaden der Menschen erfunden worden?«, fuhr Christoph auf. »Durch sie gibt es jetzt Kalendertafeln in den Hütten der einfachsten Handwerker, Gebetbücher und komische Literatur: Fastnachtsscherze, volkstümliche Gedichte. Viele wollen jetzt lesen lernen.«
    »Wer seid Ihr denn, dass Ihr solche Worte im Munde führt?«, fragte der Zecher mit einem lauernden Unterton.
    Bin ich zu weit gegangen? dachte Christoph.
    »Ich bin ein Scholar«, entgegnete er ruhiger. Er musste seine Rolle besser spielen. »Ich bin in einem entlegenen Tal in Italien geboren, und es drängt mich, mich einmal aus der armen und gedrückten Masse des Volkes hervorzuheben. So ging ich an eine Lateinschule im Kirchspiel einer größeren Stadt. Bei den Stiftern dieser Schule bekam ich Obdach und Lager, musste mir aber meinen Lebensunterhalt erbetteln.«
    »Und Ihr seid einer von denen, die es an die Universität geschafft haben, he?«, rief der Zecher. »Habt Ihr Euch das nicht alles nur ausgedacht?«
    Christoph begann zu schwitzen, je mehr er sich auf dem Prüfstand befand. Vielleicht wäre es besser gewesen, diese Stadt zu meiden.
    »Ihr aber habt Euch
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