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Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Titel: Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Autoren: Gerd Scherm
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geschlossen, denn GON selbst zeigte sich nicht zur Dankesstunde. Er zeigte sich nie jemandem außer Seshmosis, seinem Propheten. Nur ihm war es vorbehalten, die Materialisationen des kleinen Gottes zu sehen.
    Nachdenklich betrachtete Seshmosis die knienden Menschen, die stumme Zwiesprache mit GON hielten. Zu den Gläubigen, die täglich zum Gebet kamen, gehörten Kalala, die dunkelhäutige Prinzessin aus Nubien, ihr Gefährte El Vis, Sänger aus Memphis, und Nostr'tut-Amus, der Seher. Erstaunlicherweise erschien seit einigen Tagen eben auch Raffim, der Händler, regelmäßig zur zehnten Stunde. Das wunderte Seshmosis, denn Raffim handelte zwar, so lange er denken konnte, mit heiligen Gegenständen, Figuren und Amuletten, doch er schätzte die Götter nur insoweit, wie sie ihm Profit brachten. Sein Vermögen verdankte er dem Krokodilgott Suchos, zu dessen Ehren und zu Raffims Gewinn er Krokodilen Tränen abgepresst hatte, diese in Gold und Silber fassen ließ und als Amulette teuer verkaufte. Überhaupt hatte er damals in Theben mit allem gehandelt, was man nur im Entferntesten mit dem Kult des Krokodilgottes in Verbindung bringen konnte: von kleinen Statuen und vergilbten Krokodilzähnen bis zu Gürteln, Sandalen und Taschen. Dazu hatte er einen Imbissstand betrieben, an dem er Krokodilwurst, Krokodilmilch, Krokodilschnaps, Krokodilhackbällchen und geraspelte, mit Honig versetzte Krokodillederreste als Süßigkeiten feilgeboten hatte.
    Da GON keinen Kult für sich forderte, war Raffim der kleine Gott völlig egal. Dass er nun täglich vor dem Schrein auftauchte, machte den Händler überaus verdächtig. Seshmosis fragte sich, welch finstere Pläne der Dicke diesmal verfolgte.
    Dann dankte auch Seshmosis seinem Herrn. Nach dem Ritual wandten sich die anderen schnell zum Gehen, und GONs Gebetsraum verwandelte sich wieder in Seshmosis' Zimmer. Der Schreiber kniete sich erneut vor den Schrein und bat: »Herr, bitte offenbare mir Raffims Pläne. Ich weiß ganz genau, dass er nicht jeden Tag hierher kommt, um dir zu danken.«
    Auf dem Schrein materialisierte augenblicklich die vertraute Katze und antwortete: »Wie kommst du darauf, dass ich in den Gedanken meiner Gläubigen herumschnüffle?«
    »Nun, ich dachte, dass ein Gott von Natur aus weiß, was Menschen denken.«
    »Da hast du falsch gedacht. Ich höre die Gedanken der Menschen nur, wenn sie sich direkt an mich wenden. Oder wenn ich wissen will, was sie denken.«
    »Dann weißt du nicht, Herr, was Raffim vorhat? Schade.«
    Seshmosis wollte sich schon mit der Antwort zufrieden geben, als die Katze fortfuhr: »Ich weiß sehr wohl, was er vorhat, denn ich bin ziemlich neugierig. Aber ich bin auch sehr diskret. Du weißt ja, Glaubensangelegenheiten gehören zur Persönlichkeitsentfaltung, die ich über alles respektiere. Und ich kann, im Gegensatz zu dir, absolut verschwiegen sein.«
    »Herr, warum quälst du mich so? Stets bemühe ich mich, alles zu deinem Besten zu richten. Warum tust du mir das an?«, fragte Seshmosis enttäuscht.
    Ein Zug von Mitleid erschien im Gesicht der Katze. Mitleid, umgeben von spitzen Eckzähnen. »Also gut, ich verrate dir, was er hier macht. Er stiehlt die Heiligen Rollen.«
    »Aber Herr, das kannst du nicht zulassen!«, schrie Seshmosis und stürzte zum Regal, das sein Archiv barg. Hektisch durchwühlte er die Fächer mit den unzähligen Papyrusrollen, zog die eine oder andere heraus und geriet in Wut: Vier der fünf Heiligen Rollen fehlten! Der Schreiber bebte vor Zorn. Und dann überfiel ihn die Angst. Man würde ihn verantwortlich machen für den Verlust, schließlich waren die Schriften in seiner Obhut. Wie sollte er beweisen, dass Raffim der Dieb war? GON pflegte ja nur mit ihm zu reden, sich nur ihm zu zeigen. Als öffentlicher Zeuge war er deshalb denkbar ungeeignet.
    »Herr, diese Papyri wurden mir von meinem Vater anvertraut und diesem von seinem Vater. Sie sind der größte Schatz unseres Volkes.«
    »Du weißt, dass ich mit diesen Schriften nichts zu tun habe. Lediglich Die Kleine Karawane betrifft mich. Alle anderen entstanden vor meiner Zeit. Und Die Kleine Karawane hat er noch nicht gestohlen«, stellte der kleine Gott lapidar fest, ohne auf die Nöte seines Propheten einzugehen.
    Die fünf Heiligen Rollen, seit Generationen von Schreiber zu Schreiber weitergegeben, waren die Identität und das Gedächtnis der Hyksos von Theben, die sich nun Tajarim nannten:
    Die Schöpfungsgeschichte, Die Tafel der Väter, Das Goldene
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