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Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer

Titel: Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Autoren: Gerd Scherm
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erscheinen pflegte.
    Doch in diesem Fall hatte sie menschliche Formen bevorzugt und Seth die Beherrschung verloren. Das Göttergericht bestrafte den Vergewaltiger mit einer grässlichen, seine göttliche Männlichkeit betreffenden Krankheit, die erst viel später auf dem Gnadenwege geheilt wurde. Man sagt, seither bevorzuge Seth die Einsamkeit der wasserlosen Wüste.
    Aram beeilte sich, Anubis zu versichern, dass er keineswegs auf irgendwelche Vorfälle anspiele, die er zudem ja gar nicht kenne, und er als Bademeister vor allem ein Meister der Diskretion sei.
    »Dein Vorschlag gefällt mir, Aram. Allerdings bedürfen neue Bauvorhaben in Amentet einer Zweidrittelmehrheit im Bauausschuss der Götterversammlung. Wir wollen schließlich nicht, dass jeder kreuz und quer baut, wie es ihm gerade einfällt. Aber ich werde bei der nächsten Zusammenkunft einen Antrag stellen.«
    Aram war nun endgültig davon überzeugt, dass die Götter wirklich alles erfunden hatten. Sogar die Bürokratie.
     
    *
     
    Byblos – freier Stadtstaat, reiche Handelsmetropole und seit zwei Jahren Zuflucht der Tajarim. Eine Tagesreise südlich von hier, im Land Kanaan, begann der ägyptische Einflussbereich, eine Pfeilschussweite nach Norden die Macht der Hatti, der Hethiter.
    Von den Perlen der Levante – Ugarit, Sidon, Tyros und Byblos – war die letztere die größte und die glänzendste. Hier kreuzten sich die Handelswege der Nord-Süd-Achse mit den Straßen aus dem Osten, die alle am Hafen der Stadt endeten. Von dort ging es per Schiff weiter nach Westen ins Abendland, nach Erob, wie die Hebräer und Phönizier zu sagen pflegten. Erob, das Dunkle, die Abenddämmerung, das Fremde jenseits des Meeres, die Region, die andere Europa nannten.
    Seshmosis hatte Byblos ausgewählt, den Schmelztiegel der Völker, in dem man mehr Sprachen hörte als im sagenumwobenen Babylon, um mit seinen Tajarim nach der Flucht aus Ägypten unterzutauchen. Als Fremde unter Fremden fielen sie hier nicht auf.
    Nun schlenderte Seshmosis langsam durch die Gassen des Hafenviertels. Er ging gern in diesen tiefer gelegenen Stadtteil, um seine Gedanken zu ordnen. Wenn er Sorgen hatte, führte ihn sein Unterbewusstsein immer wieder in das Gassengewirr, während sein Bewusstsein nur einen Tintenklumpen kaufen wollte. Außer Atmen, Essen und Schlafen gab es für einen Schreiber nichts Wichtigeres als Tintenklumpen, jenes Konglomerat aus Kienruß, Gummi Arabicum und verbrannter Weinhefe. Fein geraspelt, mit Wasser angerührt und mit Essig verdünnt, bildete diese Mischung den Stoff, mit dem man Ereignisse, aber auch Träume auf Papyrus festhalten konnte.
    Seshmosis blieb vor der Auslage eines kleinen Ladens stehen. Direkt vor der Tür hatte der Händler auf einem groben Holztisch sein Angebot ausgebreitet: Griffel und Wachstafeln, Tintenfässer und Schreibried, Tintenklumpen und Siegellackstangen, kleine Raspeln und Stapel von Blättern aus Binsenmark, mit Steinen beschwert, um zu verhindern, dass sie mit dem Wind weggeweht wurden. Daneben warteten aber auch wertvollere Dinge wie Amulette, kleine Statuetten, Ringe und Rollsiegel auf Käufer. Seshmosis wandte die Augen von den Waren ab und musterte den Händler genauer. Byblos war ein Schmelztiegel, in dem es keine Trennung zwischen Einheimischen und Fremden gab, nur eine Trennung zwischen Erfolgreichen und Gescheiterten. Und es gab Menschen, die ständig zwischen diesen beiden Gruppen pendelten, mal mehr zur einen, mal mehr zur anderen Seite tendierend, je nachdem, ob sie an diesem Tag ein paar Kupfermünzen einnahmen oder nicht. Für Seshmosis' Gegenüber würde sich in den nächsten Minuten entscheiden, zu welcher Gruppe er heute gehörte.
    »Ihr habt gewählt, weiser Herr?«, fragte der Händler.
    Seshmosis schüttelte nur stumm den Kopf und ließ den Blick erneut über die Auslage schweifen. Ein rundes Amulett erweckte seine Aufmerksamkeit. Es war aus Bronze, ungefähr fünf Zentimeter im Durchmesser und trug spiralförmig angeordnete, fremde Schriftzeichen. Seshmosis deutete mit dem Finger darauf und fragte: »Woher ist das? «
    »Ihr habt einen vortrefflichen Geschmack, edler Herr. Dieses erlesene Stück stammt von der Insel Kreta aus dem Reich des Königs Minos.«
    »Ah, aus Keftiu Minos«, sagte Seshmosis mehr zu sich selbst.
    »Ihr stammt aus Ägypten, weit gereister Herr? Nur die Ägypter nennen Kreta Keftiu Minos, das Fremdland des Minos.«
    »Ja, ich habe lange dort gelebt, aber das tut jetzt nichts zur Sache.
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