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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt
Autoren: Michael Köhlmeier
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Felswand auf und steckten ihre Hände in die Ärmel. Über ihre Gesichter fiel der Schatten der Kapuzen.
    Da traten zwei wie Könige gekleidete Männer aus der Höhle. Sie hockten sich auf den Haufen Gold.
    Der eine fragte: »Wieviel?«
    Der andere antwortete: »Viel.«
    Der eine: »Dann ist es wohl auch viel.«
    Der andere: »Ja, es ist viel.«
    Der eine: »Aber wieviel ist es?«
    Der andere: »Sehr viel ist es.«
    Und so ging das weiter.
    Siegfried kam diese Unterhaltung spaßig vor, es war, als würden hier zwei Schauspieler hocken und aus einem Stück deklamieren, das sie nicht verstanden, bei dem es aber auch nichts zu verstehen gab. Er konnte nicht an sich halten und lachte heraus.
    Da verstummten die beiden. Sie griffen an ihre Schwerter, ließen sie aber in den Scheiden stecken. Finster blickten sie in Siegfrieds Richtung.
    »Gelacht ist worden«, sagte der eine.
    »Wenn du es sagst«, gab der andere zurück.
    »Ich sag nur, was ist«, der eine.
    »Und ich bestätige nur, was du sagst«, der andere.
    Da stieg Siegfried von seinem Aussichtsposten herunter, ging auf die beiden zu, setzte seine zwei immer noch leeren Kohlenkörbe ab und hielt den komischen Königen die Hand hin.
    »Ich bin Siegfried«, sagte er.
    Er hatte ja von Mime gelernt, daß sich der Mensch zuerst vorstellen muß, bevor er sein Anliegen vorbringt.
    Die beiden antworteten nicht, und seine Hand nahmen sie auch nicht.
    »Ich will euch bei eurer Tätigkeit nicht stören«, sagte Siegfried. »Es geht mich nichts an, was ihr hier macht. Euer Gespräch hat sich nur so lustig angehört, und da dachte ich, vielleicht freut es euch, wenn jemand darüber lacht.«
    Aber es schien sie nicht zu freuen. Im Gegenteil: Mit zusammengezogenen Brauen starrten sie Siegfried finster an.
    »Freuen soll sich, wer will«, sagte Siegfried, »und wer sich nicht freut, wird auch nicht geschlagen. Aber vielleicht könnt ihr mir helfen. Ich suche den Köhler. Ich suche ihn schon den ganzen Tag und habe alles mögliche schon erlebt an diesem Tag. Nur den Köhler gefunden habe ich nicht. Es ist meine Aufgabe, Holzkohle zu beschaffen.«
    Die beiden starrten ihn weiter an. Dann tuschelten sie miteinander aus den Mundwinkeln.
    Schließlich sagte der eine: »Wer immer du auch bist, du kommst uns gerade recht. Willst du uns einen Gefallen tun?«
    »Gern«, sagte Siegfried. »Wenn ihr mir sagt, wo der Köhler ist.«
    Nun stellten sich die beiden vor. Der eine war König Nibelung, der andere König Schilbung.
    »Du sollst uns helfen, unseren Schatz zu teilen«, sagten sie. »Wir trauen einander nicht. Er betrügt mich. Ich betrüge ihn. Wer weiß es, wer weiß es? Und Wahrheit gibt es, aber zu zweit gibt es sie nicht. Wahrheit gibt es erst zu dritt.«
    »Das ist mir neu«, sagte Siegfried.
    »Das ist alt«, sagten die zwei. »Darum tu uns den Gefallen, und teile diesen Schatz.«
    Und der eine König sagte: »Nur ja keinem ein Körnchen zuviel!«
    Und der andere König sagte: »Und keinem ein Körnchen zuwenig!«
    »Aber zuviel auch nicht«, sagte der eine.
    »Und zuwenig schon gar nicht«, sagte der andere.
    Während sie so sprachen und widersprachen, stand das Heer der grauen Kapuzenmänner weiter stumm an der Felswand.
    Siegfried sagte: »Ich will euch gern helfen, warum auch nicht. Aber erst sagt: Wer sind diese Männer?«
    »Das Heer der Nibelungen«, war die Antwort. »Wir haben den Männern die Zungen herausgeschnitten, damit sie nicht verraten, wo unser Schatz ist.«
    »Werdet ihr mir auch die Zunge herausschneiden, wenn ich euren Schatz geteilt habe?« fragte Siegfried.
    »Das wissen wir noch nicht«, sagte der eine.
    Der andere sagte: »Ich bin dafür.«
    Der eine: »Ich bin dagegen.«
    »Ich dafür.«
    »Und ich dagegen.«
    Das klang alles so komisch, daß Siegfried wieder lachen mußte. Außerdem war er sich nicht sicher, ob er wachte oder träumte. Und Träume haben ihre eigenen Schrecken. Was uns am Tag entsetzt, darüber lachen wir im Traum womöglich, und was uns im Traum ängstigt, darüber schütteln wir am Tag den Kopf.
    Siegfried also lachte. »Was krieg ich dafür, wenn ich euch behilflich bin?«
    »Einen Lohn«, sagte der eine.
    »Nämlich ein Schwert«, sagte der andere.
    »Ein Schwert mit einem Namen«, sagte der eine.
    »Ein Schwert mit dem Namen Balmung«, sagte der andere.
    »Wenn es euch recht ist«, sagte Siegfried, »will ich den Lohn sofort haben.«
    Und es war ihnen recht. Sie reichten ihm das Schwert, und Siegfried spürte, daß es sehr gut in
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