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Die neue Menschheit

Die neue Menschheit

Titel: Die neue Menschheit
Autoren: Chad Oliver
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nichts dagegen tun.
    Er hatte genügend andere Sorgen und reichlich Zeit, über sie nachzugrübeln. Der Winter war lang.
    Da war beispielsweise die Nahrung. Es war schwer, Wurzeln aus dem gefrorenen Boden zu graben. Die Tiere hatten genauso Schutz vor der Kälte gesucht wie die Menschen auch und waren kaum aufzuspüren. Es bedurfte ständiger Anstrengung, gerade wenigstens so viel zum Essen herbeizuschaffen, daß sie nicht verhungerten.
    War das Freiheit?
    Vielleicht.
    Vielleicht war so etwas nötig. Freiheit kam nicht leicht.
    Dann war da das Doppelproblem seines Alters und seiner Führerschaft. Nach den üblichen Maßstäben war Varnum nicht alt, aber die üblichen Maßstäbe hatten hier keine Geltung. Er hatte die Erfahrung und Erinnerungen und vielleicht hatte er noch seine eiserne Entschlossenheit. Aber er hatte nicht die Kraft und das Durchhaltevermögen, auf die Dauer weiterzumachen. Er versuchte nicht, sich selbst etwas vorzumachen. Der Mensch verlor so allerhand an die Jahre. Die geistige und körperliche Flinkheit ließ nach. Man träumte weniger schöne Träume und dachte mehr an kleine Leiden, Schmerzen, schlechte Verdauung und schlechte Zähne.
    Ehrlich gesagt, man fühlte sich häufig richtig mies.
    Da war Dieh und die unsichtbare Schranke zwischen ihnen. Nun, da Sex sie nur hin und wieder verband, war es noch schwieriger, sich einander mitzuteilen. Varnum spürte seine Isolation als fast greifbare Last. Es war ein Unterschied, ob man sich völlig auf sich verließ, wenn man jung war und glaubte die ganze Welt erobern zu können, oder wenn die Winterkälte einem die Knochen gefror.
    Da war sein Junge: klug und voll Leben. Vielleicht nebensächlich, aber der Junge sollte nicht namenlos sein. Es war merkwürdig, daß er noch keinen Namen bekommen hatte, fast als wäre es noch nicht soweit.
    Wie weit?
    Er ließ sich ein paar Namen durch den Kopf gehen, doch wie immer wurde nichts Ernsthaftes daraus. Boy? Lächerlich, er würde ja nicht immer ein Kind bleiben. Sohn? Es gab viele Söhne unter den Leuten. Tarzan? Og? Cuthbert? Beowulf?
    Seine Gedanken führten ihn unweigerlich zur Frage nach der Zukunft. Bei seinem Wissen: schützte er seine Leute oder hielt er sie zurück?
    Was war das Beste für sie?
    Er hatte diese Frage zahllose Male beantwortet. Hatte sie mit seinem Leben beantwortet. Trotzdem ließ sie ihm keine Ruhe.
    Enthielt er seinen Leuten die Sterne vor?
    Er schnaubte. Die Sterne! Dies waren die Sterne. Sie waren da!
    Nein, das Problem war, den Sternen Bedeutung zu geben.
    Wo ist der Weg nach Mekka, Freund?
    Mit diesen quälenden Fragen beschäftigte Varnum sich den ganzen Winter, trotzdem fand er keine endgültigen Antworten.
    Er spürte jedoch, daß er näher kam.
    Näher an etwas kam.
    An die Senilität, vielleicht?
     
    Als der Frühling sich Bahn brechen wollte, aber die eisige Hand des Winters Varnums Welt noch fest im Griff hatte, wurde er eindringlich daran erinnert, daß er die Trümpfe nicht alle in der Hand hielt.
    Es gab Dinge, die er nicht wissen konnte.
    Es geschah an einem Tag, der wie alle anderen Tage in der Höhle war. Verstreute kleine Feuer warfen mehr Schatten als Licht. Fettiger Rauch hing an der Decke. Und starke Gerüche quälten die Nase.
    Aus einem der dunklen, unbenutzten Höhlengänge, die sich durch den Berg zogen – einer, in dem es bisher still wie in einer Gruft gewesen war – kam ein Laut.
    Ein Laut?
    Ein zischender Schrei, ein hohlklingendes Brüllen, ein ohrenbetäubendes Kreischen …
    Und noch einmal.
    Es schmetterte durch die Höhlen.
    Dann war ein schweres Kratzen zu hören und das ferne Plumpsen eines Felsbrockens …
    Danach Stille.
    Die Leute waren vor Schrecken erstarrt.
    Es war so unerwartet, so völlig fremd, daß keine richtige Reaktion erfolgte.
    Der Schrei war grauenvoll, ja. Doch ganz besonders entsetzlich machte ihn die Tatsache, daß es für die Menschen nicht möglich war, sich vorzustellen, was ihn verursacht hatte.
    Keine Maschine, dessen war Varnum sicher.
    Etwas Lebendes. Ein Tier. Ein sehr großes und unbekanntes Tier.
    Aber wie konnte es im Gang sein? Es gab absolut nichts zu Fressen in dem kahlen Gestein. Es konnte doch nicht die ganzen Jahre, während die Leute diese Höhlen benutzt hatten, lautlos dort gehaust haben!
    Wenn die Kreatur von der Außenwelt gekommen war, weshalb hatte man sie dann nie gesehen? Die Jäger kamen viel herum und ihnen entging nichts. Etwas, das so riesig sein mußte, schon gar nicht.
    Und sie hatten auch noch
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