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Die neue Menschheit

Die neue Menschheit

Titel: Die neue Menschheit
Autoren: Chad Oliver
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Er blickte Dieh an. Die verwirrendsten Gefühle tobten in ihm.
    Da war sie: abgearbeitet, unschön und unsterblich. Sie grub in der Erde. Vor sich hatte sie einen Haufen der süßen, runden orange Früchte. Sie hatte sie halbiert und holte die nußgleichen bleichen Kerne aus dem Fruchtfleisch.
    Sie setzte die Samen.
    Eine ganze Menge.
    So also fängt es an, dachte Varnum. Oder so hört es auf.
    Ackerbau. In weniger als einer Generation! Er hätte es nicht für möglich gehalten. Die Leute mochten zwar unwissend sein, aber nicht dumm. Sie waren sogar sehr gescheit. Es würde sie vermutlich alle vernichten.
    Wenn gescheit nur auch weise wäre!
    Varnum wußte nicht, was er tun sollte. Er wußte bloß, was er nicht tun durfte. Er konnte es nicht einfach diktatorisch verbieten, wie er es bei Regenfreunds Antilopenjungen getan hatte. Regenfreund hatte es ihm nie verziehen, und das hier war Dieh! Er konnte nicht einfach losstürmen und ihr kleines Feld zerstampfen.
    Er konnte ihr nicht wieder sagen, daß sie nicht verstand. Er konnte ihr nicht sagen, daß sie sich auf seine überlegene Weisheit verlassen mußte. Nicht Dieh. Nicht wieder.
    Sie war zu stark. Sie hatte zu viel durchgemacht.
    Ihre Weisheit war vermutlich nicht geringer als seine. Vielleicht sogar vernünftiger.
    Wenn er auch nur ein bißchen Ruhe und Frieden in seinem Leben haben wollte, durfte er sie jetzt nicht aufhalten.
    Du wirst wohl alt, Varnum? Verlierst deinen eisernen Willen?
    Bist dir nicht mehr sicher, daß dein Kompaß immer zur Unfehlbarkeit zeigt?
    Es war mehr als das, viel mehr!
    Wenn seine Leute bereits die Voraussetzungen für Domestikation und Ackerbau entdeckt hatten, gab es einfach keine Möglichkeit, die Ausführung auf die Dauer zu verhindern.
    Gesetze?
    Gesetze wogegen?
    Alles?
    Varnum wußte, was er tun wollte, welche Wahl er treffen würde. Aber das reichte nicht! Es war reine Arroganz gewesen, daß er das je geglaubt hatte.
    Varnum konnte eine Wahl treffen, weil er wußte, was folgen würde, wenn eine Frau Samen setzte und ein Mann ein verwundetes Tier schützte. Er wußte, wohin es führen würde, oder bildete es sich zumindest ein.
    Er wollte nicht, daß noch einmal demselben Weg gefolgt würde. Er wollte es nicht für sich, noch für seinen Sohn, noch für die Söhne seines Sohnes.
    Eine Katastrophe zu verhindern, ist, sie unmöglich zu machen.
    Davon war er immer noch überzeugt, und er würde seine Meinung auch nicht ändern.
    Aber sie kannten die Bedeutung ihres Tuns nicht. Konnten sie ja auch nicht kennen.
    Außer …
    Komm schon, Varnum. Niemand hat dich zum Gott gewählt.
    Schau deine Frau an, wie sie die Samen setzt. Sieh sie dir doch einmal WIRKLICH an.
    Hatte sie denn nicht das Recht, selbst zu entscheiden, wie ihr Leben verlaufen sollte? Hatten sie nicht alle dieses Recht?
    (Falsch oder richtig. Diese schrecklichen Worte. Bedeuteten sie etwas? Wenn nicht …)
    Nun, versuch es mal. Überlaß die endgültige Bewertung noch ungeborenen Philosophen. Sie wüßten vermutlich auch nicht mehr.
    Tu dein bestmögliches.
    Mehr konnte kein Mensch tun.
    Sicher. Richtig. Was sonst?
    Laß dir die Möglichkeiten durch den Kopf gehen und die Alternativen.
    Varnum konnte natürlich auch nichts tun. Sich in Objektivität hüllen und zusehen. Auf diese Weise konnten die Leute blind weitermachen und in all die gleichen alten Fallen tappen. Es wäre nicht seine Schuld. Er hatte ja nichts getan.
    Das wäre die Wahl eines erstaunlichen Feiglings.
    Varnum konnte den Diktator spielen. Das war er im Grunde genommen bisher auch gewesen. Er konnte die Entscheidungen für alle treffen.
    Er hatte genug davon. Selbst wenn nicht, auch Diktatoren leben nicht ewig. Mit der Zeit würde es andere Führer geben und andere Entscheidungen.
    Oder Varnum konnte sein Wissen anderen mitteilen. Er konnte das Geheimnis aufdecken. Dann waren die Leute in der Lage, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und zwar in vollem Bewußtsein der Sachlage.
    (Gewiß, sie alle hatten diese Entscheidung schon einmal getroffen. Alle der Erwachsenen hatten sich freiwillig gemeldet. Doch das lag lange zurück und Welten. Jetzt dagegen war jetzt!)
    Es hing nun von ihnen ab.
    Sie konnten wählen, knobeln, sich in kleine Gruppen aufteilen.
    Vielleicht war es ihnen auch völlig egal.
    Vielleicht schafften sie, was immer auch zu schaffen war. Vielleicht auch nicht. Aber sie sollten es tun oder nicht tun.
    Nicht Varnum. Nicht Supermann. Nicht der Große Computer vom Himmel.
    Nur die Leute
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