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Die neue Menschheit

Die neue Menschheit

Titel: Die neue Menschheit
Autoren: Chad Oliver
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durch. Sein Schrei kam nicht unerwartet. Der andere Mann nahm Reißaus.
    Varnum vergeudete keine Zeit mit dem Verwundeten, er war kampfunfähig. Er wandte ihm den Rücken zu und ging weiter. Seine Meinung von der hohen Obrigkeit hatte sich nicht geändert.
     
    Varnum betrat den Ratssaal und blieb ruhig stehen, um sich ein Bild zu machen. Natürlich wußte er, daß auch er gemustert wurde.
    Ein seltsam aussehender Mann, dieser Varnum. In einem Zeitalter der Harmonie und perfekt proportionierter Menschen war er fast eine Mißgeburt. Sein Gesicht war scharf und unregelmäßig geschnitten, seine Haut ledrig und gezeichnet. Seine dunklen Augen waren schmal und wirkten immer mißtrauisch. Seine Hände waren klobig, die Finger kurz und kräftig. Für seine Zeit war er nicht groß mit seinen genau einsachtzig, und er hatte keine Idealfigur. Seine breiten Schultern waren rund, die Hüften plump. Er war keineswegs ein Bild der Anmut und Geschmeidigkeit.
    Wenn es ein Wort gab, Varnum zu beschreiben, dann kompakt!
    Er sah aus, als hätte er Wurzeln geschlagen.
    Varnum war schon einmal hier gewesen, doch das lag Jahre zurück. Im Saal hatte sich kaum etwas geändert, auch die Ratsherren nicht. Varnum betrachtete sie. Er war weder übermäßig beeindruckt von ihnen, noch beging er den Fehler, sie zu unterschätzen. Es waren fähige Leute.
    »Ich komme auf Ihre Vorladung.« Dieser Einführungssatz war mehr oder weniger Protokoll.
    »Sie sind ein guter Staatsbürger.« Das war die übliche Erwiderung.
    Varnum sagte nichts weiter. Er wußte, daß der Rat die Attentäter auf ihn gehetzt hatte. Er wußte auch, weshalb: ein direkter, wenn auch plumper Versuch festzustellen, ob er noch mit gefährlichen Situationen fertig wurde. Den nächsten Schritt mußte nun der Rat machen.
    »Nun, Varnum.« Der Sprecher war ein Mann und zwar ein Prototyp eines distinguierten Mannes: er hatte silbergraues Haar, war eine gepflegte Erscheinung, und strahlte eine ruhige Autorität aus. Er hatte keinen anderen Titel als die restlichen Ratsherren auch, aber er leitete die Show. Sein Name war Ira Luden, und er hatte eine sehr niedrige Nummer. Er war alles andere als dumm.
    »Möchten Sie sich nicht setzen?« fragte Ira Luden. Er war die Höflichkeit in Person.
    »Wird es sehr lange dauern?«
    »Eine Weile ganz sicher.«
    Es gab nur einen freien Stuhl. Varnum setzte sich dem Rat gegenüber.
    »Wir möchten etwas ergründen«, sagte Luden.
    »Na, dann ergründen Sie mal. Ich stehe Ihnen zu Diensten.«
    Ira Luden schmunzelte. Er war einer der wenigen Leute, die Varnum tatsächlich je hatte schmunzeln sehen. »Ich glaube, Sie sehen unser System falsch. Wir stehen Ihnen zu Diensten.«
    Einige Ratsherrn nickten gemessen, als hätte Luden einen sehr wichtigen Punkt dargelegt.
    »Wie Sie meinen. Sie stehen mir also zu Diensten. Möchten Sie, daß ich Ihnen irgendwelche Anweisungen gebe?«
    Wieder schmunzelte Luden. Er verriet die Selbstsicherheit absoluter Macht und ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
    Er braucht mich, dachte Varnum. Warum?
    »Wir alle sind hier gleichberechtigt. Wir wollen die Sache in Harmonie angehen.«
    »Ich quelle von Liebe und Harmonie über«, versicherte ihm Varnum. »Gehen wir es also an.«
    »Ja. Wir dürfen die Zeit eines Bürgers nicht vergeuden. Sie sind sehr direkt, das weiß ich. Ich komme deshalb sofort zur Sache.«
    Varnum wartete.
    »Varnum.« Ira Luden setzte seine offenste und ehrlichste Miene auf. »Sind Sie glücklich?«
    Varnum blinzelte. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Er grübelte kurz darüber nach. »Ist das überhaupt jemand?«
    »Ich weiß nicht.« Dieses Geständnis mußte Luden schwergefallen sein, schließlich erwartete man von ihm, daß er alles wußte. Im Augenblick war er in keine Rolle geschlüpft, er schien tatsächlich verwirrt zu sein.
    Varnum war entsprechend beeindruckt. »Das war wohl eine ernstgemeinte Frage?«
    »So ernsthaft wie meine Antwort auf Ihre.«
    Varnum beugte sich vor und überkreuzte die Beine. »Sie haben ganze Regimenter wissenschaftlicher Sachverständiger. Sie haben gewaltige Computer und Forschungssysteme – und Sie wissen nicht, ob irgend jemand glücklich ist oder nicht?«
    Ira Luden runzelte die Stirn. »Mein Freund, es gibt verschiedene Möglichkeiten vorzugehen. Man kann die Experten fragen – aber die sind sich selbst nie einig. Man kann die Leute fragen, aber die wissen es meistens nicht. Läßt man den ganzen semantischen Kram beiseite, ist Glück doch etwas
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