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Die neue Menschheit

Die neue Menschheit

Titel: Die neue Menschheit
Autoren: Chad Oliver
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die wuchtigen Hüften gestemmt. Er sah aus wie ein Neandertaler unter kunstvollen Androiden.
    Er will etwas von mir, dachte Varnum. Er hatte seinen Grund, mich herzubestellen. Dieses ganze Gerede ist nur Tarnung. Tarnung wofür?
    »Ich bin kein Orakel«, sagte er bedächtig. »Ich schmeichle mir nicht, Ihnen etwas Tiefschürfendes sagen zu können. Sie müssen alles schon von Leuten gehört haben, die weit mehr davon verstehen.«
    »Trotzdem wüßte ich Ihre Antwort zu schätzen, glauben Sie es mir. Ich möchte, daß der Rat hört, was Sie zu sagen haben.«
    Varnum zuckte die Schulter. »Na gut. Wappnen Sie sich gegen Gemeinplätze, meine Damen und Herren. Ich verstehe zwar wirklich nicht, was meine Rolle hier sein soll, aber ich spiele mit. Also, woran liegt es? Wir haben alles, was wir uns – angeblich – nur wünschen können: genug zu essen, persönliche Sicherheit, Sex, Unterhaltung. Die Qualität mag zwar zweifelhaft sein, aber wir haben ausreichend von allem. Niemand hungert, es gibt keine Kriege, und es besteht keinerlei Gefahr, wenn man zu Hause bleibt. Es hilft auch, wenn man Situationen vermeidet, in denen man mit voller Absicht auf die Probe gestellt wird.« Sein Blick wanderte über den Rat. Niemand verzog auch nur die Miene. »Jeder kann sich am Sex erfreuen, ob echt oder künstlich. Man braucht sich nur einzuschalten und wird in höchste Höhen getragen. Wenn man davon genug hat, kann man sich ›unterhalten‹ lassen, bis einem der Kopf dampft. Es hört sich richtig utopisch an, aber da ist ein kleiner Haken. Es funktioniert nicht. Wir langweilen uns zu Tode. Das ist das Problem. Soll ich fortfahren?«
    »Bitte.« Ira Luden lächelte. »Auch wenn es naturbedingt langweilig ist.«
    Varnum grinste – andere hätten vielleicht gesagt, er fletsche die Zähne. Seine Zähne waren gelb und unregelmäßig. »Nun gut, ich bin der Meinung, daß die Wurzel des Übels sehr tief liegt. Verdammt, Sie wissen, was ich denke. Sie haben jeden Gedanken, den ich je niederlegte, irgendwo auf Band.«
    »Wir möchten es von Ihnen hören. Bitte.«
    »Schön. Wir sind Tiere. Sie, ich, ein jeder. Wir bilden uns gern ein, daß wir etwas ganz Besonderes wären, trotzdem sind wir Tiere. Wir entwickelten uns wie alles andere Leben auch. Die Evolution ist ein Prozeß, der durch Selektion an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten abläuft. Wir sind Primaten mit einer exakten und bekannten Evolutionsgeschichte. An uns ist nichts sonderlich geheimnisvoll. Wir sind die Primaten, die auf die Jagd setzten. Wir sind die Primaten, die als Lebensweise in Kultur investierten. Die Jagd ermöglichte uns das Überleben. Die Kultur ermöglichte uns eine Ausbreitung in andere Gegenden, die sich drastisch von den tropischen Steppen unseres Ursprungs unterscheiden – Gegenden, die so anders waren, wie die seltsame Umwelt, in der wir jetzt leben. Der springende Punkt ist: wir sind Jäger. Wir waren Millionen von Jahren Jäger, ehe wir etwas anderes wurden. Erst vor wenigen Jahrtausenden kam es zur Landwirtschaft, und es ist nur ein Augenblick in der Zeit, seit die ersten Städte erbaut wurden. Das ist gar nichts in Begriffen der Evolution. Psychologisch und emotionell sind wir nach wie vor Jäger. Ich rede jetzt nicht von dem schwachsinnigen Wunsch, Tiere zu erschießen, sondern von dem, was mit der Jagd zusammenhängt, denn das ist es, was alles bedeutet: die Herausforderung, das Teamwork, die Mühe, die Erregung, die Belohnung, das Verständnis für das Land, die Familiensysteme, die Fähigkeiten, der Stolz – warum, glauben Sie denn, haben wir diese Körper? Warum können wir laufen, werfen, klettern, schwimmen, durchhalten? Warum haben wir unsere Augen und den Verstand? Warum spielen wir Spiele? Es ist so offensichtlich! Wir sind Jäger, die nicht jagen. Die Dinge haben ihren Reiz für uns verloren, weil es zu den Situationen, die uns psychologisch anregen, nicht mehr kommt. Wir sind wie Fische aus dem Wasser, die kleine Behälter mit Flüssigkeit herumschleppen, um am Leben zu bleiben. Das ist unser Problem.«
    Ira Luden schwieg einen Augenblick. Es war schwer zu sagen, ob Varnums Worte ihn beeindruckt hatten. Als er sprach, klang seine Stimme völlig ruhig. »Sie haben vielleicht recht. Immerhin ist es eine alte Theorie – eine von vielen. Nehmen wir an, daß Sie recht haben, oder zumindest teilweise. Ich bitte Sie logische Folgerungen zu ziehen. Wenn Ihre Analyse Sinn ergibt, was ist dann die Lösung? Sollen wir Kaninchen züchten
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