Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Narrenburg

Die Narrenburg

Titel: Die Narrenburg
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
kann das frevle Spiel jeden Augenblick wiederholen.
    Ich habe jahrelang das Uebermenschliche versucht, daß Alles wieder sei, wie früher, allein es war vergebens: das Einfältige ist am leichtesten zerstört, und bleibt aber am festesten zerstört. Sie war hinfüro bloß die Demuth mehr, die Ergebung und Aufopferung bis zum Herzblute, aber nur das
Eine
nicht mehr, was statt Allem gewesen wäre, nicht die
Zuversicht
. Sie klagte nie; aber sie hing in meinen Armen, wie die Taube in denen des Geiers, gefaßt auf Alles - - die kalte Sonne des Nordens schien auf sie, wie mein Auge, beides kein Leben mehr spendend. Nie mehr seit jener Nacht ist die Röthe der Gesundheit wieder in ihr Angesicht gekommen - und so starb sie auch an einem Nachmittage; die brechenden Augen noch auf mich gerichtet, wie das arme Thier den Mörder anschaut, der ihm die Kugel in das furchtsame Herz gejagt hatte.
    Ich wurde vor Schmerz wahnsinnig, wie sie als kalte Leiche lag, und wie sie begraben war. Ich wußte nicht, sollte ich Bertha morden, die Beschützerin, oder Ruprecht, ihren Mann, oder soll ich Sixtus suchen, und ihm Faser für Faser aus dem Leibe reißen - - aber ich that endlich Alles nicht, weil ich die Macht gewann, nicht den Frevel durch einen neuen sühnen zu wollen. Er, da er ihren Tod vernommen, hatte sich mit einer Kugel das Gehirn zerschmettert - in das Haus der andern kam Wuth und Unfriede; Ruprecht warf seinem Weibe den Tod des Sixtus vor; sie war düster gegen ihren Mann, und starb auch bald an innerem Siechthum. Ich aber schloß das Parthenon mit Schlössern zu, bis auf ein Gemach, in dem ich wohnte - die Diener dankte ich ab - die Pflanzen ließ ich verkommen - die Thiere nährte ich, bis sie eines nach dem andern starben, und dann begrub ich sie jedes einzeln. - Was von Chelion übrig war, jedes Stückchen Kleid, ihr Spielzeug, den Fußboden und den Teppich, auf dem sie wandelte, das Tischchen, an dem sie saß, das Bett, in welchem sie in jener Nacht gelegen - - Alles hütete ich, daß es blieb, wie es an dem Tage ihres Todes war. Auf Erden hatte ich keinen Menschen mehr; - mein Sohn Christoph, das Ebenbild Chelions - hatte er nun erkannt, oder geahnt, was ich seiner Mutter gethan - war fort, und nicht wieder gekommen - - und als ich alt geworden war, erbarmte es mich der Ueberreste in dem Parthenon; ich nahm viel Geld, das ich zusammengespart, hinterlegte es als Ersatz für meine Erben, und zündete das Parthenon an, daß Alles und Alles durch das Feuer verzehret würde, was übrig wäre von ihr und mir. - Es war eine schöne, schmerzensvolle Lohe! - Ich hatte nie den Berg verlassen, habe keine Thaten mehr verrichtet, keine guten und keine bösen. Jetzt wohne ich in dem steinernen Häuschen, das ich am Fuße des Berges erbaut, nicht weil ich ein Einsiedler bin und in Schmerzen lebe - nein, weil es lieblich ist, daß
ein
Mensch nicht mehr brauche, als was
einem
Noth thut. - In den Büschen neben mir sind die Vögel, die es auch so halten, und weiterhin die Strohdächer, die es so halten müssen, es aber thöricht für ein Unglück wähnen - der Berg steht hinter mir mit seinen Denkmalen und widersinnigen Vorkehrungen, daß die Besitzer sich zerstören müssen - - in meinem Testamente, Artikel 13, steht geschrieben: »Ein blauseiden Vorhang über Chelions Bild, der sich selber rolle; dann ein weiß einfach Würfel aus Marmel über unser gemeinschaftlich Grab im indischen Garten, mit nichts, als den zwei Namen« - - befolget mir nur genau den Artikel, damit es ja so geschieht. Ich habe jetzt schon einen Stoß Papiere wie ein Tisch hoch gesammelt, und werde die Geschichte beginnen von den Verkehrtheiten des menschlichen Geschlechtes, und die von den Großthaten desselben - es ist aber seltsam: oft weiß ich nicht, ob eins in diese Geschichte gehöre, oder in jene - - ich muß wohl noch älter werden - - ach, ich sehne mich nach meinem Sohne .....«

    Bei diesen Worten brach das Manuscript ab, und keine Zeile stand weiter auf dem Pergamente. Nur unten am Rande des letzten Blattes stand von fremder Hand: » +(gestorben) einundzwanzig Tage nach dem Worte: Sohne.«
    Ach - und so muß ja jede dieser Rollen enden, die in den eisernen Kästen noch liegen mögen. Wenn der Mann dachte: »morgen oder übermorgen schreibe ich wieder,« so war er morgen oder übermorgen krank, und die andern Tage darauf todt!
    Heinrich stand auf, und wischte sich mit der Hand über die Stirne.
Eine
Schrift hat er nun gelesen. Er sah deutlich nun auch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher