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Die Narrenburg

Die Narrenburg

Titel: Die Narrenburg
Autoren: Adalbert Stifter
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folge mir nur hinweg aus diesem schwülen Zimmer - ich thue dir kein Leid.«
    »Nein, du mußt mir eins thun,« antwortete sie, »ich werde nicht aus diesem Bette gehen, sondern auf den weißen Kissen liegen bleiben, bis das rothe Blut darüber wegfließt, und sie purpurroth färbt; dann werden sie roth sein, und ich weiß - aber ich werde dann ruhig sein, nicht gequält, nicht fehlend, sondern ich werde sein, wie einer der weißen marmornen Engel in deiner Kirche.«
    Dabei suchte ihr Auge furchtsam im Zimmer, wie nach einem Schwerte; das Fläschchen, das ich auf den Tisch gestellt, beachtete sie nicht.
    »Nicht wahr, Jodok,« fuhr sie fort, »du lässest mich noch ein wenig diese Luft athmen - das Athmen ist so gut; mir däucht es ängstlich, nicht mehr zu athmen.«
    »Athme, athme,« rief ich, »athme bis an das Ende aller Tage.«
    Und in Hast griff ich das Fläschchen von dem Tische, und eilte zur Thüre hinaus in die Glashäuser ihres indischen Gartens. Sie waren größtentheils offen, und eine heißere Luft, als sonst immer in ihnen war, strömte heute von außen herein. Die Pflanzen ihres Vaterlandes standen in schwarzen Klumpen, und sahen mich vorwurfsvoll an. Ich gewann das Freie. Im Sixtushause standen alle Fenster schwarz und stumm; auf dem Berge war Todesschweigen, nur unten schien es, als würden Thore zugeschlagen, und als tönte es von davonjagenden Hufen - - ich betete inbrünstig, daß er möchte geflohen sein; denn mein Herz knirschte gegen ihn. Ich stieg aus dem Thale des Parthenon empor, und ein zerrissener Himmel starrte um mich. Es waren schwarze Fahnen droben, aus denen feurige Zungen griffen. Ich eilte gegen den Thurm des Prokopus. Dort stand ich einen Augenblick, daß die heiße Sommerluft in meinem Mantel stockte, den ich abzulegen vergessen. Dann aber stieg ich noch höher, und hastig fort, bis die äußerste Zinne erreicht war. Dort hob ich meinen Arm, als müßte ich Lasten brechen, und schleuderte das Fläschchen in den Abgrund - - es ist dort unsäglich tief, wo die Bergzunge gegen die Fichtau ausläuft - und wie ich nachhorchte, kam ein zarter Klang herauf, da es an den hervorragenden Steinen zerbrach - - und nun erst war mir leichter. Ich blieb noch auf dem Gipfel stehen und athmete aus dem Meere von Luft, das um mich stand und finster war. In diesem Augenblicke schien es auch, als höbe sich ein Lüftchen, und rausche freundlich in den Sträuchen. Und es war auch so. Der harte Himmel lösete sich, und floß in weiche Schleier ineinander und einzelne Tropfen schlugen gegen die Baumblätter.
    Ich lief nun wieder hinab, ging in ihr Zimmer, trat zu dem Bette - sie lag noch immer darinnen, und richtete die trockenen, brennenden Augen harrend gegen mich - ich aber nahm sie in die Arme, küßte sie auf den heißen Mund, und sagte: »Schlafe nun ruhig und schlafe süß; ich krümme dir kein Haar; ich werde dich auch lieben fort und fort, wie mein Weib, wie mein eignes einzig Kind - ich will dich noch zarter pflegen, als sonst, daß du diese Nacht vergessen mögest. Gute Nacht, liebe Chelion, gute Nacht.«
    Sie hatte dieß Alles geduldet, aber nicht erwiedert. Ich mochte sie nicht weiter quälen, sondern ging zum Zimmer hinaus, und hörte noch, wie mir ein leises, auflösendes Schluchzen nachfloß.
    Des andern Tages kam ein kühler, heiterer Morgen. Ich erfuhr, daß Graf Sixtus in der Nacht abgereiset war. - Ruprecht, sein junger Freund, sein Jagd- und Abenteuergenosse, hatte ihn befördert; ich wußte es wohl, denn sie hatten sich immer sehr geliebt - aber ich sagte nichts, obgleich mich Ruprecht mit der Angst des bösen Gewissens anblickte - mir war es wohl, daß er fort war, mir war es sehr wohl, daß er geflohen.
    Als ich zu Chelion kam, kauerte sie eben auf dem Boden, und drückte eine Taube an ihr Herz. Ich that mir noch einmal den Schwur, ihr die Qual dieser Nacht durch lebenslange Liebe vergessen zu machen, wenn ja das Schreckniß auszutilgen ist aus dem weißen unbeschmutzten Blatte ihres Herzens. - -
    Aber es war nicht mehr auszutilgen.
    Sie hatte mich einmal mit dem Mörderauge an dem Bette stehen gesehen, und dieß war nicht mehr aus ihrer Seele zu nehmen. Einst war ich ihr die sichtbare Gottheit auf Erden gewesen, nun zitterte sie vor mir. - Wie kann es auch anders sein? Wer einmal den Arm erhob zum Todtschlage eines seiner Mitgeschöpfe, wenn er ihn auch wieder zurückzog, dem kann man nicht mehr trauen; er steht jenseits des Gesetzes, dem wir Unverletzlichkeit zutrauen, und er
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