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Die Nadel.

Titel: Die Nadel.
Autoren: Ken Follettl
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habe sie gestern gesehen. Tolle
     Mühle!« David hatte sich bewußt den ganzen RAF-Jargon angeeignet – Mühlen und Kisten
     und der Bach und Banditen um 2 Uhr. »Sie hat acht Kanonen, fliegt 350 Knoten und kann in
     einem Schuhkarton gewendet werden.«
    »Großartig, großartig. Ihr Jungs haut die
     Luftwaffe ganz schön in die Pfanne, was?«
    »Gestern haben wir sechzig runtergeholt
     und nur elf von unseren verloren«, sagte David stolz, als hätte er sie alle selbst
     abgeschossen. »Vorgestern, als sie Yorkshire angriffen, haben wir dem verdammten Pack eine
     Abfuhr erteilt, daß sie mit dem Schwanz zwischen den Beinen wieder nach Norwegen abgezischt
     sind. Und keine einzige Kiste dabei verloren!«
    Onkel Norman packte David an der
     Schulter mit der Inbrunst des Beschwipsten. »Nie«, zitierte er schwülstig, »hatten so
     viele so wenigen so viel zu verdanken. Das hat Churchill gesagt.«
    David versuchte ein leichtes Grinsen. »Er muß von den Kasinorechnungen gesprochen haben.«
    Lucy war die Art zuwider, wie sie Blutvergießen und Zerstörung verharmlosten. Sie sagte: »David, wir sollten jetzt gehen und uns umziehen.«
    Sie fuhren getrennt zu Lucys Heim. Ihre Mutter half ihr aus dem Hochzeitskleid. »Nun, mein Kind, ich weiß nicht genau, was du heute nacht erwartest, aber du solltest wissen – «
    »Oh, Mutter, laß das!« unterbrach Lucy. »Es ist ungefähr zehn Jahre zu spät, um mich aufzuklären. Wir schreiben das Jahr 1940!«
    Ihre Mutter errötete leicht. »Na gut, Kind«, sagte sie sanft. »Aber wenn du über irgend etwas sprechen möchtest, später vielleicht . . . «
    Lucy fiel ein, daß es ihre Mutter einige Mühe kosten mußte, so etwas zu sagen, und es tat ihr leid, daß sie so schroff reagiert hatte. »Danke.« Sie berührte die Hand ihrer Mutter. »Ich denke daran.«
    »Dann lass’ ich dich jetzt allein. Ruf mich an, wenn du etwas brauchst.« Sie küßte Lucy auf die Wange und ging hinaus.
    Lucy saß im Unterrock vor dem Frisiertisch und begann ihr Haar zu bürsten. Sie wußte genau, was heute nacht auf sie zukommen würde. Es wurde ihr ein wenig warm ums Herz, als sie sich erinnerte.
    Es war eine wohlüberlegte Verführung gewesen, obwohl Lucy damals nicht daran gedacht hatte, daß David jeden Schritt geplant haben könnte.
    Es geschah im Juni, ein Jahr nachdem sie sich beim »Fröhlichen Lumpenball« kennengelernt hatten. Inzwischen trafen sie sich jede Woche, und David hatte einen Teil der Osterferien bei Lucys Familie verbracht. Mutter und Vater waren mit ihm einverstanden: Er sah gut aus, war klug, benahm sich wie ein Gentleman und stammte aus genau derselben Gesellschaftsschicht wie sie. Ihr Vater hielt ihn für etwas zu überheblich, doch ihre Mutter meinte, daß der Landadel das seit sechshundertJahren über Studenten in unteren Semestern gesagt habe; sie selbst glaubte, daß David gut zu seiner Frau sein werde, was auf lange Sicht schließlich am wichtigsten sei. Im Juni verbrachte Lucy also ein Wochenende auf Davids Familienwohnsitz.
    Es war die viktorianische Imitation eines Landsitzes aus dem 18. Jahrhundert, ein rechteckiges Haus mit neun Schlafzimmern und einer von Bäumen umgebenen Terrasse. Lucy fand es besonders beeindruckend, daß es den Leuten, die den Garten angelegt hatten, wohl klar gewesen sein mußte, daß er erst lange Zeit nach ihrem Tod voll erblühen würde. Es war sehr behaglich, und die beiden tranken in der Nachmittagssonne auf der Terrasse Bier. David erzählte, daß er zusammen mit vier Freunden aus dem Fliegerclub der Universität zur Offiziersausbildung der RAF angenommen worden war. Er wollte Jagdflieger werden.
    »Ich fliege nicht schlecht«, sagte er, »und man wird Leute brauchen, wenn dieser Krieg erst richtig losgeht. Die Leute sagen, daß er diesmal in der Luft entschieden wird.«
    »Hast du keine Angst?« fragte sie leise.
    »Kein bißchen«, antwortete er. Dann legte er eine Hand auf seine Augen und sagte: »Doch, ich habe Angst.«
    Sie fand, daß er sehr tapfer sei, und hielt seine Hand.
    Etwas später zogen sie Badezeug an und gingen zum See hinunter. Das Wasser war klar und kühl, aber die Sonne schien noch kräftig, und die Luft war warm. Sie plätscherten fröhlich umher, als wüßten sie, daß ihre Kindheit zu Ende war.
    »Kannst du gut schwimmen?« fragte er.
    »Besser als du!«
    »Schön, um die Wette bis zur Insel.«
    Lucy hielt eine Hand vor ihr Gesicht, um von der Sonne nicht zu sehr geblendet zu werden. Sie blieb eine Weile so
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