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Die Nadel.

Titel: Die Nadel.
Autoren: Ken Follettl
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war ein gerechter Krieg. Wenn er auch zu alt war, um
     an der Front zu kämpfen, war er immer noch jung genug, um zu helfen.
    Doch der
     Gedanke, seine Arbeit unterbrechen zu müssen – und für wie viele Jahre? –,
     deprimierte ihn. Seine Liebe galt derGeschichte. Seit dem Tode seiner
     Frau vor zehn Jahren hatte ihn das mittelalterliche England ganz in Beschlag genommen. Ihm
     gefielen die Entwirrung von Geheimnissen, die Entdeckung kaum sichtbarer roter Fäden, die
     Lösung von Widersprüchen, die Demaskierung von Lügen, Propaganda und Mythen. Sein neues
     Buch würde auf seinem Gebiet das beste der letzten hundert Jahre sein, und die nächsten
     hundert würde sich kein anderes mit ihm vergleichen lassen. Es hatte sein Leben so lange
     Zeit beherrscht, daß der Gedanke, es im Stich zu lassen, fast unwirklich schien, so schwer
     zu verdauen wie die Nachricht, daß man Waise ist und überhaupt nicht verwandt mit den
     Menschen, die man immer Mutter und Vater genannt hat.
    Das schrille Heulen der
     Sirenen unterbrach seine Gedanken. Er überlegte, ob er den Alarm ignorieren sollte. So
     viele Menschen taten es, und zu Fuß würde er nur zehn Minuten bis zum College
     brauchen. Aber er hatte keinen wirklichen Grund mehr, in sein Arbeitszimmer zurückzukehren
     – er wußte, daß er heute nicht mehr arbeiten würde. Deshalb eilte er in eine U-Bahn-
     Station und schloß sich der dichten Menge von Londonern an, die sich die Treppe hinab auf
     den verschmutzten Bahnsteig drängten. Dort blieb er an der Wand stehen, starrte ein
     Reklameplakat für Bovril-Brühe an und dachte: Aber es geht nicht nur um das, was ich
     aufgeben muß.
    Es deprimierte ihn auch, wieder dem Geheimdienst zuarbeiten zu
     sollen. Es gab einiges, was ihm daran gefiel: die Bedeutung von Kleinigkeiten, der Wert,
     den man der Intelligenz zumaß, die Gewissenhaftigkeit, die Detektivarbeit. Doch er haßte
     Dinge wie Erpressung, Verrat und Betrug und die Art und Weise, wie man dem Feind das Messer
     in den Rücken stieß.
    Mehr Leute drängten auf den Bahnsteig. Godliman setzte sich,
     solange es noch Platz gab, und bemerkte, daß neben ihm ein Mann saß, der die Uniform
     eines Busfahrers trug. Der Mann lächelte und sagte: »Oh, in England zu sein, nun da es
     Sommer ist. Wissen Sie, wer das gesagt hat?«
    »Da es April ist«, korrigierte
     Godliman. »Es war Browning.«
    »Ah, ich habe gehört, es sei Adolf Hitler gewesen«, sagte der
     Fahrer. Eine Frau neben ihm quiekte vor Lachen, und er wandte sich ihr zu. »Haben Sie
     gehört, was der Evakuierte zu der Frau des Farmers sagte?«
    Godliman schaltete ab
     und erinnerte sich an einen April, in dem er sich nach England gesehnt hatte. Er hatte hoch
     oben auf dem Ast einer Platane gehockt und durch den kalten Nebel über ein französisches
     Tal hinweg hinter die deutschen Linien gespäht. Selbst durch sein Fernrohr hatte er nichts
     als verschwommene dunkle Gestalten sehen können. Er hatte gerade hinunterrutschen und
     vielleicht noch ein oder zwei Meilen weiter gehen wollen, als ganz plötzlich drei deutsche
     Soldaten aufgetaucht waren. Sie hatten sich um den Fuß des Baumes herum gesetzt und
     Zigaretten angezündet. Nach einer Weile hatten sie Karten hervorgeholt und zu spielen
     begonnen. Dem jungen Percival Godliman war klargeworden, daß sie es irgendwie geschafft
     hatten, sich zu drücken, und daß sie den ganzen Tag hier sein würden. Er war auf dem
     Baum geblieben, fast ohne sich zu bewegen, bis er erbärmlich fror, seine Muskeln sich
     verkrampften und seine Blase zu platzen drohte. Da hatte er seinen Revolver gezogen und die
     drei erschossen – einen nach dem anderen, von oben durch ihre kurzgeschorenen
     Schädel. Drei Menschen, die gelacht und geflucht und ihren Sold verspielt hatten, waren
     einfach ausgelöscht worden. Es war das erste Mal gewesen, daß er getötet hatte, und er
     hatte nichts denken können als: Nur weil ich pinkeln mußte.
    Godliman rückte auf
     dem kalten Beton des Bahnsteigs zur Seite und ließ die Erinnerung verblassen. Ein warmer
     Wind wehte aus dem Tunnel, und ein Zug fuhr ein. Die Menschen, die ausstiegen, suchten sich
     einen Platz, um auf die Entwarnung zu warten. Godliman lauschte den Stimmen.
    »Hast
     du Churchill im Radio gehört? Wir haben ihn im Duke of Wellington gehört. Der alte
     Jack Thornton hat geheult. Blöder alter Trottel . . . «
    »Anscheinend ist Kathys
     Junge in einem Herrenhaus und hat seinen eigenen Diener! Mein Alfie
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