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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada
Autoren: Brigitte Riebe
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bestand auf ihrer Begleitung.
    »Sich zu drücken, wäre feige«, hatte er noch auf dem Weg zu Fatimas Haus gemurmelt und dabei den schweren Korb vom einen zum anderen Arm gewechselt. »Nachbarn sind nun einmal Menschen, die uns etwas angehen, auch wenn wir uns sie nicht unbedingt ausgesucht haben. Man hält zusammen, in guten, erst recht aber in diesen schwierigen Zeiten.«
    Jetzt allerdings schien seine Zuversicht zu wanken. Lucia sah mit Erschrecken, wie seine Schultern nach unten sackten, als er die in fleckiges Dunkelbau gehüllten Frauen erblickte, die sich als Trauergesellschaft im offenen Hof des einstöckigen Hauses versammelt hatten. Dann aber straffte er sich wieder. Der Vater würde sich nicht einschüchtern lassen, das wusste sie plötzlich und bewunderte ihn dafür.
    »Malik fehlt uns allen«, begann er in fließendem Arabisch. »Der Mord an ihm war ein entsetzliches Verbrechen, das gesühnt werden muss. Wir trauern gemeinsam um ihn. Vielleicht wird die Erinnerung eines Tages ja den großen Verlust …«
    »Schweig!«, donnerte ihm jene Frau entgegen, die ihn bereits vor seiner Werkstatt beschimpft hatte, Rabia, wegen Schwatzsucht und Hinterhältigkeit verschrien. »Du bist nicht einmal würdig, seinen Namen in den Mund zu nehmen. Verschwinde, zusammen mit deiner verfluchten Christentochter! Mörder wie ihr haben hier nichts zu suchen.«
    Einige andere Frauen schauten ähnlich finster drein, schüttelten den Kopf und ballten erneut die Fäuste. Fatima, tief verschleiert am Boden hockend, machte keinerlei Anstalten, den christlichen Nachbarn zu verteidigen, als plötzlich Saida aufsprang und Nuri mit sich zog.
    »Habt ihr jetzt alle den Verstand verloren?« Ihre sonst so sanfte Stimme klang ungewohnt scharf. »Besinnt euch gefälligst! Diese beiden gehören seit Langem zu uns und daran wird sich auch künftig nichts ändern. Lucia ist für mich die zweite Tochter, weil meine Milch sie am Leben erhalten konnte, nachdem ihre Mutter gestorben war. Und ihr Vater ist uns als Bruder und Freund lieb und teuer. Wer sich gegen sie wendet, wendet sich auch gegen uns!«
    »Ja, sie hat ganz recht. Lucia ist meine Mondschwester«, rief Nuri lispelnd vor Aufregung. »Wir gehören für immer zusammen!«
    Lucia spürte bei diesen Worten ein warmes Gefühl der Zuneigung in sich aufsteigen. Genauso empfand sie auch! Als Zeichen ihres Bündnisses schenkte sie Nuri ein Lächeln, das diese sofort erwiderte.
    Jetzt ruhten die Augen aller auf Tochter und Mutter, doch Saida ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Allein ihre zitternde Hand auf Nuris Arm verriet die innere Anspannung.
    »Menschen gehen nach dem Tod über eine Brücke, die so scharf ist wie eine Messerschneide. Wer sich aber in seinem Leben als Gläubiger erwiesen hat, gelangt ins Paradies.« Sie vollführte eine kleine Drehung in Richtung Fatima. »Dein Malik gehört zu jenen Glücklichen, das wissen wir alle hier. Er hat sein Leben verloren, die ewige Seligkeit jedoch gewonnen.«
    Ihre klugen Worte wirkten Wunder.
    Die Gesichter der Frauen begannen sich zu entspannen und selbst Sinan, der picklige Sohn des Schächters, der immer wieder verstohlen zu Nuri gelinst hatte, verlor seinen verkrampften Ausdruck.
    »Wir haben nur eine Kleinigkeit mitgebracht.« Sichtlich erleichtert stellte Antonio den prall gefüllten Korb vor der Witwe ab, der seine Worte Lügen strafte, genauso, wie der Brauch es gebot. »Doch Djamila wäre gerne bereit, zu eurer Trauerrunde zu stoßen und sie mit weiteren Speisen zu laben.«
    »Etwa mit diesen ekelhaften Würsten und Schinken, die ihr Schweinefresser am liebsten vertilgt?« Rabia schien noch immer nicht genug zu haben. »Erst vor wenigen Tagen haben sie ganz in eurer Nähe wieder eine Sau ausgeweidet. Und ihr werdet nicht glauben, wer es dieses Mal war: Amir, der sich von Allah abgewandt und seine Beute bestimmt nur allzu gern mit seinem Nachbarn Antonio geteilt hat!«
    Woher wusste Rabia das alles? Lucia bekam am ganzen Körper Gänsehaut.
    Der kleine Schneider war tatsächlich mit einer Schüssel frischer Würste bei ihnen erschienen, während in seinem Rücken die Fetzenkerle betrunken gejohlt und jedes ihrer Worte belauscht hatten. Inzwischen hatte sie von ihrem Vater auch erfahren, wer sie waren: ein Haufen Söldner aus einem fremden Land, angeheuert von Diego Rodriguez Lucero, der die Inquisitionsverfahren* in Granada mit aller Macht vorantreiben sollte. Aus Mitleid mit Amir hatte die Familie des Goldschmieds das
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