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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada
Autoren: Brigitte Riebe
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hat man ihn mir auf so grausame Weise genommen?«
    Ihr Kleid war zerrissen, den Schleier hatte sie offenbar längst irgendwo unterwegs verloren, aber es schien sie nicht zu kümmern. Tränen liefen über ihre Wangen, doch Fatima schrie weiter, obwohl der Prophet angesichts des Todes doch Sammlung und stille Trauer geboten hatte.
    Auch Antonio kam aus seiner Werkstatt gerannt. Aus dem Haus gegenüber liefen Nuri und ihre Mutter Saida auf die Gasse, blieben aber auf ihrer Seite stehen.
    »Sie verbrennen Menschen«, rief eine Frau aus dem Zug. »Malik ist erst der Anfang. Irgendwann werden die Christen in ganz Granada ihre Scheiterhaufen aufrichten und uns alle im Feuer rösten. Nieder mit den Schweinefressern*! Verdammt sollen sie sein, bis in alle Ewigkeit!« In ohnmächtiger Wut ballte sie die Fäuste und hieb mit ihnen durch die Luft.
    »Ja, nieder mit all den Schweinefressern!«, riefen nun auch die anderen Frauen. »Mörder, Mörder, Mörder!«
    Unwillkürlich tastete Lucia nach Antonios Hand und war erleichtert, als sie seinen warmen, beruhigenden Druck spürte.
    »Du musst keine Angst haben«, sagte er leise in seinem wohlklingenden Andalusisch, das sich wie Gesang anhörte, schaute dabei aber nach Djamila, die ein Stück entfernt stand und seinen Blick mied. »Sie sind wütend, traurig und ratlos, da sagen Menschen schon mal solche Dinge. Wenn sie erst wieder ruhiger geworden sind …«
    »Halt den Mund!« Eine aus dem Zug hatte ihn doch gehört – und alles verstanden. Aus ihrem Mund klang die Sprache der Christen hart und kalt. »Sonst schicken wir dir eines Nachts unsere Brüder und Söhne, damit ihr am eigenen Leib zu spüren bekommt, wie es ist, lebendig geröstet zu werden – du und deine gottlose Hure, die sich schon lange von Allah losgesagt hat!«
    Bevor der Goldschmied noch etwas darauf erwidern konnte, hatte die Frau sich bereits wieder eingereiht und war mit den anderen weitergegangen. Lucia sah, dass das Gesicht ihres Vaters auf einmal kalkweiß geworden war.
    Jetzt war sie es, die seine Hand fest drückte, und sie konnte nicht damit aufhören, selbst als der Trauerzug mit dem toten Schächter längst aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
    Am frühen Morgen weckten Lucia seltsame Geräusche. Die hölzernen Läden waren nur angelehnt; durch die vergitterten Fenster im maurischen Stil, die ihr Haus ebenso besaß wie die meisten Gebäude im Albaycín, drang klare, frische Herbstluft in ihr Zimmer.
    Sie setzte sich auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen.
    Für ein paar Augenblicke war es ruhig, bis auf das unablässige Wassermurmeln im kleinen Becken des Innenhofs, dann hörte sie einen Hund bellen. Erleichtert wollte Lucia sich schon wieder hinlegen, überzeugt, es sei doch nur ein Traum gewesen, als die befremdlichen Geräusche erneut einsetzten.
    Sie stand auf, schlang ein Tuch um sich und trat ans Fenster.
    Zwei Männer in seltsam grellen, geschlitzten Gewändern, die Köpfe mit roten Kappen bedeckt, luden einen großen, oben abgeflachten Stein von einem Karren und schleppten ihn zum Nebenhaus. Dort warteten schon zwei weitere, ebenso bizarr gekleidet, die mit ihren Schaufeln eine Kuhle gegraben hatten, welche nun den unteren Teil des Steins aufnahm.
    Neben ihnen schlotternd vor Angst und mit grauem Gesicht ihr Nachbar Amir, der ein paar Gassen weiter zusammen mit seinem Vetter eine kleine Schneiderei betrieb und angeblich vor wenigen Tagen die christliche Taufe empfangen hatte.
    »Die Sau bringen wir später«, hörte sie einen der Männer in abgehaktem Kastilisch rufen. »Wir wollen doch dabei sein, wenn du sie eigenhändig abstichst. Und heute Abend lädst du uns dann alle zu Schweinebraten und frischer Blutwurst ein.«
    Raues, lautes Gelächter.
    Amir zog die Schultern noch ein Stück weiter nach oben und wirkte noch kleiner und verlorener.
    Ihr war, als schaute er hilfesuchend zu ihr herauf.
    Schnell trat Lucia einen Schritt zurück, in der Hoffnung, Amir habe sie nicht erkannt, und kniff die Augen zu. Doch was sie gesehen und gehört hatte, ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Sogar das Morgenlicht schien plötzlich grau geworden, grau wie der Tag, der vor ihr lag.

2
    S chweigen schlug ihnen entgegen, eisiger als die dunkelste Januarnacht auf den Gipfeln der Sierra Nevada, als Lucia und ihr Vater am dritten Tag der Totenklage Maliks Witwe aufsuchten. Lucia hatte zunächst nicht mitkommen wollen, weil sie sich davor gefürchtet hatte, was sie dort erwarten würde, ihr Vater jedoch
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