Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht des einsamen Träumers.

Die Nacht des einsamen Träumers.

Titel: Die Nacht des einsamen Träumers.
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
konnte es mir denken.«
    »Was dachten Sie?«

    »Dass er danach in die Wohnung gehen wollte, in der er sich immer mit Renata traf. Aber beim Prozess sagte er nur, er sei zu Hause geblieben, er habe sich von dort nicht wegbewegt. Und er hatte keine Zeugen, nach mir hatte ihn niemand mehr angerufen.«

      »Auch wenn er die Wahrheit gesagt hat, gab es also niemanden, der das bestätigen konnte.«

      »Genau. Die Anklage basierte vor allem auf dem fehlenden Alibi. Und Motive zu Roccos Lasten gab es zuhauf. Als er festgenommen wurde, waren die meisten seiner Freunde und Bekannten von seiner Schuld überzeugt.«
    »Und wie reagierte Renata auf die Festnahme?«

      »Tja, wie soll ich sagen... widersprüchlich. Manchmal war sie, immer im privaten Kreis, von seiner Unschuld überzeugt, manchmal schien sie wieder zu zweifeln. In der Tatnacht war sie bei ihrer Freundin gewesen, was diese im Prozess bestätigte. Der Staatsanwalt ging über die Hypothese des Leiters der Mordkommission, der von einem nicht vorsätzlichen Tötungsdelikt ausgegangen war, noch hinaus und klagte Rocco des Mordes an. Die Richter waren sehr hart.«

      »Sie waren auf einem Auge blind, die Ärmsten«, sagte Montalbano.

    Der Preside sah ihn fragend an.
      »Die Richter waren auf einem Auge blind? Ich verstehe nicht, Commissario.«

      »Signor Preside, damals hatten die Richter nur ein Auge, das Auge, mit dem sie das gewöhnliche Verbrechen, einschließlich Mord, sahen, und das unerbittlich. Das andere Auge, das Auge, das die Mafia, die Bestechlichkeit der Politiker und so weiter hätte sehen müssen, das hielten sie schön geschlossen.«

      »Aber was beim Prozess alle, einschließlich mir, so befremdlich fanden, war Roccos Haltung.«

    »Nämlich?«
    »Er war vollkommen teilnahmslos. Als ginge ihn die ganze
    Sache nichts an. Das wirkte auf die meisten wie ein indirektes Schuldeingeständnis. Die Anwälte legten Berufung ein. Zwischen dem ersten und dem zweiten Verfahren, in dem das Urteil bestätigt wurde, heiratete Renata wieder.«
    »Wie bitte?!«, fragte Montalbano entgeistert.

      »So ist es. Formal war nichts dagegen einzuwenden. Es war allenfalls eine Frage des guten Geschmacks, sie hätte noch ein Jahr warten können. Ich sagte ja schon, dass Renata bildschön war und von Giacomo ein beträchtliches Vermögen geerbt hatte. Viele warfen ein Auge auf die Witwe. Aber sie entschied sich für Antonio Lojacono.«
    »Wer war das?«
      »Antonio Lojacono war ein Vermessungsingenieur, zwei Jahre jünger als sie, der von Anfang an erst in der Firma von Giacomo und Rocco und dann bei Giacomo gearbeitet hatte. Im Lauf des zweiten Verfahrens verstärkte sich Roccos gleichgültige Haltung. Stellen Sie sich vor, während des Plädoyers des Staatsanwalts fing er einfach eine Fliege.«

    »Stopp«, sagte Montalbano brüsk.
    »Hä?«, fragte der Preside verwirrt.

    »Wiederholen Sie genau, was Sie gesagt haben.«
    »Was habe ich denn gesagt?«
    »Das mit der Fliege.«

      »Er fing einfach eine Fliege, ausgerechnet während alle zu ihm hinsahen, weil der Staatsanwalt, der des zweiten Verfahrens, in diesem Augenblick vom vorsätzlichen Handeln sprach. Und ebendiese Geste, die jeder gesehen hatte, nahm der Staatsanwalt als Aufhänger, um zu beweisen, was für ein verachtungswürdiger und zynischer Mensch Rocco sei. Wenn Sie es wissen wollen, Dottore, diese Geste fassten alle als Geständnis auf. Wir waren wie versteinert.«
    »Erzählen Sie von der Fliege.«
    »Hä?«
      »Signor Preside, das ist kein Scherz. Flog sie herum? Saß sie irgendwo?«

    »Mein Gott, was soll daran so wichtig sein?«
    »Nehmen Sie's einfach hin, und antworten Sie.«

      »Ich glaube, sie saß. Oder flog, ich weiß es nicht. Denn er, Rocco, war schon einige Augenblicke lang wie gelähmt, er rührte sich nicht, er starrte auf den Handlauf rings um die Bank, auf der er saß... Vielleicht war da die Fliege, und er beobachtete sie...«

    »Wer war da?«
    »Wo?«
      Der Preside war verwirrt, er begriff Montalbanos Fragen nicht. Was hatten sie für einen Sinn? Und außerdem hatte der Commissario seine Haltung geändert, er sah aus wie ein Jagdhund, der gebannt ein Büschel Möhrenhirse anstarrt.
    »Im Gerichtssaal. Wer war außer Ihnen im Gerichtssaal?«
      »An Freunden, meinen Sie? Neugierigen? Na ja, genau kann ich das...«
    »Denken Sie gut nach: War Renata da?«

      »Da brauche ich nicht nachzudenken, sie war nicht da.« Montalbano schien
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher