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Die Nacht des einsamen Träumers.

Die Nacht des einsamen Träumers.

Titel: Die Nacht des einsamen Träumers.
Autoren: Andrea Camilleri
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beigewohnt hatten, als Michele die Kontrolle über den Wagen verlor. Wahrscheinlich ein Schwächeanfall. Beide starben. Und von da an war ich, in jeder Hinsicht, eine Art Vater für Rocco. Und Angelina wurde zu seiner Mutter. Rocco übergab den väterlichen Betrieb einer Person seines Vertrauens und tat sich mit Giacomo Alletto zusammen, einem Freund aus Montelusa. Sie waren jung und auf Draht. Bald bekamen sie immer größere Aufträge. Giacomo heiratete als Erster. Er heiratete ein bildhübsches Mädchen aus Montelusa, Renata Dimora, eine ehemalige Kommilitonin von Giacomo und Rocco, die jedoch ihr Studium abgebrochen hatte. Im Jahr darauf heiratete auch mein Cousin eine junge Frau, Anna Zambito aus Favara. Sie bekamen einen Sohn, das ist der, der in Rom lebt...«
    »Ja, das sagten Sie bereits...«
    »Commissario, ich weiß wohl, dass ich Sie mit dieser Geschichte langweile, die wie einer dieser komplizierten biblischen Stammbäume klingt. Aber wissen Sie, wenn ich Ihnen die Situation nicht schildere, verstehen Sie am Ende gar nichts. Eines Abends rief Rocco mich aus Montelusa an, er wollte mich allein treffen. Wir verabredeten uns in einem Cafe am Stadtrand. Und dort sagte er mir, er habe schon seit längerer Zeit ein Verhältnis mit Renata, der Frau seines Kompagnons. Als sie noch an der Uni waren, waren beide in Renata verliebt, Rocco und Giacomo. Sie war ein paar Monate mit Rocco zusammen gewesen, dann hatte sie ihn verlassen und sich mit Giacomo liiert. Nach Roccos Heirat begann die Geschichte mit Renata von neuem. Es war von Renata ausgegangen, vertraute mir mein Cousin an, als ertrüge sie den Gedanken nicht, dass er eine andere Frau, seine Ehefrau, hatte. Und Rocco hatte nicht widerstehen können. Ich flehte ihn an, die Finger davon zu lassen, aber ich begriff, dass da nichts zu wollen war. Er wurde von Tag zu Tag immer nervöser und unzugänglicher.«
    »Liebte er seine Frau noch?«
      »Genau das war der Punkt! Er sagte, er liebe sie noch mehr, seit die Beziehung mit Renata wieder angefangen habe. Außerdem liebte er das Kind abgöttisch. Jedenfalls hatte er, wie man sagt, un cori d'asino e unu di liuni, er war hin- und hergerissen. Übrigens befand Renata sich in der gleichen Situation.«

    »Hatten Renata und ihr Mann Kinder?«
    »Zum Glück nicht.«

      »Signor Preside, Montelusa ist im Grunde eine Kleinstadt. Wie kommt es, dass Alletto von dem Verhältnis seiner Frau mit dem Kompagnon keine Ahnung hatte?«

      »Es ist unerklärlich, aber es ist so. Er hatte keine Ahnung. Und auch das war ein Grund, warum Rocco litt.«

    »Wie meinen Sie das?«
      »Rocco ist ein anständiger Mensch. Seine Situation als zweifacher Verräter, des Verräters der Familie und der Freundschaft, lastete unerträglich auf ihm. Wenn Giacomo es erfahren würde, sagte er zu mir, könnte ich mich in gewisser Weise darüber freuen, dann käme es endlich zu einer Aussprache. Warum sagst du es ihm dann nicht?, fragte ich. Und er: Renata will nicht. Bis Giacomo eines Tages einen anonymen Brief erhielt. Unmissverständlich und ausführlich. Darin stand nicht nur die Adresse der kleinen Wohnung, in der sich seine Frau mit ihrem Liebhaber traf, es waren auch der Tag und die Uhrzeit ihres nächsten Treffens angegeben. Eben eine richtige Aufforderung, die beiden in flagranti zu ertappen. Und zu erschießen.«
    »Hat Rocco Ihnen je gestanden, dass er den anonymen Brief geschrieben hat?«, fragte Montalbano ruhig. Preside Burgio blieb, halb erstaunt, halb bewundernd, der Mund offen stehen.
      »Nein«, sagte er, als er sich wieder gefangen hatte. »Aber während Sie das sagten, ist mir klar geworden, dass es gar nicht anders gewesen sein kann. Ja, bestimmt hat mein Cousin Giacomo über die Untreue der Ehefrau und des Freundes ins Bild gesetzt.«

      Er schwieg und blickte zu Boden. Ein Gedanke war ihm gekommen.
      »Und vielleicht wollte er wirklich, dass Giacomo sie beide erwischte, vielleicht wollte er wirklich, vielleicht sehnte er sich danach, dass Giacomo ihn tötete.«

    »Und was tat Giacomo stattdessen?«
    »Er lud Rocco und dessen Frau Anna in ein Wochenendhaus ein, das er hier in Vigàta hatte, am Meer bei Montereale. Sie waren nur zu viert, Renata hatte gekocht. Nach dem Espresso holte Giacomo den anonymen Brief aus der Tasche und las ihn laut vor. Es war ein schrecklicher Moment, Rocco hat es mir erzählt. Ohne ein Wort zu sagen, aber mit einem wimmernden Laut stand Anna auf und rannte zum Strand. In diesem
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