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Die Nacht des einsamen Träumers.

Die Nacht des einsamen Träumers.

Titel: Die Nacht des einsamen Träumers.
Autoren: Andrea Camilleri
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Tagesablauf notwendigerweise verändert. Außerdem waren aller Augen auf Sie beide gerichtet, Sie mussten also äußerst vorsichtig sein. Damit, nehme ich an, rechtfertigte Renata es wohl, Sie nicht treffen zu müssen. Dann wurde die Leiche im Tank entdeckt, und Sie wurden formal beschuldigt und festgenommen. Nur Renata hätte den Ermittlern von der Vereinbarung erzählen können, die zwischen Ihnen beiden bestand, nämlich, dass Sie sie in der Wohnung erwarten sollten, um die Nacht mit ihr zu verbringen. Das wäre zwar keine hundertprozentige Bestätigung des Alibis gewesen, hätte Ihre Position aber doch gestärkt. Und natürlich hätte ein fantasievoller Ermittler Renata der Beihilfe anklagen können. Dieses Risiko, stellten Sie sich vielleicht vor, wäre Renata aus Liebe gern eingegangen. Doch Renata sprach nie von dieser Verabredung, weder bei den Vernehmungen, noch als sie beim Prozess aussagte. Ihre Freundin bestätigte, dass Renata den Abend und die Nacht bei ihr zu Gast war und keine Verabredung mit Ihnen erwähnte. Und sie sagte die Wahrheit, Renata hatte ihr verschwiegen, was sie Ihnen bezü glich dieser nächtlichen Verabredung geschrieben oder am Telefon gesagt hatte. Und sie wollte sich auch nie mit Ihnen treffen, denn in ihrem Plan mussten Sie sich in der Situation befinden, kein richtiges Alibi zu haben. Vielleicht berichtete Ihr Anwalt Ihnen auch von Renatas zwiespältiger Haltung, wenn sie auf Sie zu sprechen kam: Mal gab sie sich überzeugt von Ihrer Unschuld, mal wirkte sie zweifelnd, zögerlich. Allmählich begannen Sie zu begreifen, was sicher sehr lange dauerte: An Renatas Hingabe, ihrer Liebe, ihrer Leidenschaft hatten Sie bis zu diesem Zeitpunkt keinen Zweifel gehegt. Da beschlossen Sie, einen letzten Versuch zu machen, Sie wollten testen, ob Renata Sie wirklich als schuldig hinstellen wollte. Das heißt, Sie sagten absichtlich nicht aus, dass Sie niemals imstande wären, dieses Akrobatenstück, Leiche über der Schulter, auf dem Dach zu veranstalten, von dem der Staatsanwalt ausging. Sie hatten Zeugen, die vor Gericht hätten schwören können, dass Sie unter Schwindelanfällen litten. Aber Sie nannten ihrem Anwalt die Namen möglicher Zeugen nicht. Angesichts Ihrer Verurteilung schwieg Renata. Ihr Test hatte funktioniert. Vielleicht hatten Sie vor, dem Anwalt erst in der Berufung von der Krankheit, falls das eine ist, zu berichten, die es Ihnen unmöglich machte, auf ein Gerüst zu steigen. Natürlich hätte der Staatsanwalt angesichts dieser Neuigkeit entgegnen können, dass Sie einen Komplizen hatten, dass Sie sich von einem Ihrer Arbeiter helfen ließen. Ihre Unschuld wäre nicht eindeutig bewiesen gewesen, aber das Konzept der Anklage wäre ins Wanken geraten. Doch zwischen dem ersten und dem zweiten Verfahren erfuhren Sie, dass Renata den Vermessungsingenieur Lojacono geheiratet hatte. Und der war, im Gegensatz zu Ihnen, sehr wohl imstande, auf einem Dach herumzuklettern, auch mit einer Leiche über der Schulter. Jedenfalls begriffen Sie da, dass Renata und der Ingenieur schon lange ein Liebespaar waren, dass Sie nichts anderes waren als das wichtigste Rädchen in dem Getriebe, das die beiden ausgeklüge lt hatten. Warum unternahmen Sie nichts? Waren Sie tödlich verletzt wegen des Verrats der Frau, die Sie liebten? Fürchteten Sie, wegen des tragischen Streichs, den man Ihnen gespielt hat, für einen Trottel gehalten zu werden? Das Verlangen nach Buße wegen der Schuldgefühle, die Sie gegenüber ihrem Freund Alletto, gegenüber Ihrer Frau, gegenüber Ihrem einzigen Kind hatten? Ich will keine Antworten, Ingegnere, sie interessieren mich nicht, die gehen nur Sie an. Aus einem dieser Gründe, oder aus allen zusammen, entschieden Sie sich dafür, sich passiv dem Lauf der Dinge zu überlassen. Aber Sie wollten Renata und ihrem neuen Mann sagen, dass Sie den Betrug durchschaut hatten. Und an jenem Tag fingen Sie, während der Staatsanwalt Sie des vorsätzlichen Handelns anklagte, vor aller Augen einfach eine Fliege. Es wirkte wie eine unerhörte Geste verächtlicher Gleichgültigkeit. Aber wissen Sie, Ingegnere, ich habe viele Jahre Erfahrung. Kein kaltblütiger Mörder hat, während ihm fürchterliche Dinge vorgeworfen werden, den Mut zu einer solchen Geste. Eine Geste, ich wiederhole es, der Verachtung und der Gleichgültigkeit. Nur dass diese Geste eine konkrete Botschaft an Lojacono war, der an jenem Tag im Gerichtssaal saß. Und so verstanden werden sollte: ›Ihr beide, du und
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