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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe
Autoren: Christopher Ross
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um! Diese Weite, diese Stille, diese klare Luft … So muss die Welt am Schöpfungstag ausgesehen haben, sag ich immer. Von Menschen unberührt.«
    »Aber hier gibt es wilde Tiere. Bären und Wölfe …«
    »Die haben mehr Angst vor den Menschen als wir vor ihnen.« Sie zog die Tüte mit den Keksen aus dem Proviantbeutel und ließ sie zugreifen. »Bären haben mit uns Menschen wenig im Sinn, es sei denn, man gerät zwischen eine Mutter und ihre Jungen.« Oder scheucht einen gefährlichen Grizzly auf, fügte sie in Gedanken hinzu, hütete sich aber, etwas zu sagen. »Und die Wölfe tauchen hier nur auf, wenn sie in den Bergen keine Beute mehr finden.«
    Betty-Sue wirkte nicht gerade überzeugt. Etwas irritiert knabberte sie an ihrem Keks. »Aber es ist so … einsam hier. Vermissen Sie denn nichts?«
    »Was denn? Restaurants? Kaufhäuser? Das Getue der reichen Familien in Vancouver, für die ich gearbeitet habe?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein … Ich habe einen Mann, den ich über alles liebe, ein gemütliches Heim, meine Huskys, und ich darf in diesem wundervollen Land leben. Was will ich mehr?«
    »Ich weiß nicht …« Betty-Sue nahm einen Schluck aus der Feldflasche und blickte auf den verschneiten Wald. »Ich hätte Angst hier draußen. Nicht nur vor wilden Tieren, vor allem wegen der Einsamkeit. Das Land ist so … leer.«
    Clarissa lächelte still. »Mich zieht diese Einsamkeit an. In einer Stadt wie San Francisco würde ich wahrscheinlich keine drei Tage durchhalten. Vielleicht mag ich diese einsame Gegend, weil ich aus einer Fischerfamilie komme und die Weite des Meeres gewohnt bin. Waren Sie mal auf dem Meer, Betty-Sue?« Sie erwartete keine Antwort und fuhr fort: »Nur das Boot und ringsherum nur Wasser bis zum fernen Horizont? Ich war oft mit meinem Vater draußen und fand dieses Gefühl irgendwie …« Ihr fiel kein passendes Wort ein. »… berauschend. Hier in Alaska geht es mir nicht anders. Wollen wir?«
    Betty-Sue reichte ihr die Feldflasche zurück, sie verstaute sie im Proviantbeutel und stieg aufs Trittbrett. »Heya … heya!«, feuerte sie die Hunde an. »Genug gefaulenzt! Jetzt zeigt endlich mal, was ihr könnt! Vorwärts, Buster!«
    Sie lenkte den Schlitten auf den schmalen Trail, ging leicht in die Hocke, als einige Zweige im Weg hingen, und trieb die Hunde in den Wald hinein.

4
    Fox war noch schäbiger, als Clarissa es von ihrem letzten Besuch in Erinnerung hatte. Ein paar Holzhäuser säumten die kaum geräumte Hauptstraße, darunter zwei Saloons und eine Kirche, die wegen des fehlenden Turms aber kaum als solche zu erkennen war, und abseits der Straße am Ufer des zugefrorenen Fox Creek erhoben sich mehrere Bruchbuden und Zelte. Selbst aus den Zelten ragten die Schlote der unvermeidlichen Kanonenöfen, ohne deren Wärme man in den notdürftig errichteten Unterkünften kaum überlebte.
    Vor den beiden Saloons hingen leuchtende Laternen, als Clarissa auf der Hauptstraße den Schlitten bremste. Wegen der Kälte war kaum jemand auf der Straße, lediglich zwei Männer, die ihnen neugierige Blicke zuwarfen und anschließend in einer der Kneipen verschwanden, und ein Betrunkener, der mit einer halb gefüllten Whiskeyflasche zu den Zelten wankte. Aus beiden Saloons drang das Klimpern von Klavieren, deren schräge Töne sich zu einem kaum erträglichen Klanggemisch vereinten und mit dem Heulen der zahlreichen Huskys, die bei den Zelten im Schnee lagerten, konkurrierten. Es war noch früh am Abend, und düsteres Zwielicht hing über der kleinen Siedlung.
    Clarissa bemerkte den entsetzten Blick der jungen Schwester und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Dagegen ist Fairbanks eine attraktive Großstadt, was? So sehen diese Dörfer alle aus. Lohnt sich nicht, was Dauerhaftes aufzubauen. Sobald kein Gold mehr da ist, ziehen die Männer weiter.«
    Betty-Sue stieg vom Schlitten und zog ihren Schal vom Gesicht. Man sah ihr an, dass sie am liebsten wieder umgekehrt und an Bord des nächsten Schiffes nach San Francisco gegangen wäre. »Und wo sollen wir wohnen?«
    Die Antwort brachte ein korpulenter Mann im offenen Pelzmantel und einer Wollmütze, die sein gerötetes Gesicht noch runder erscheinen ließen. Er kam aus einem der Häuser und hielt eine brennende Sturmlampe in der Hand. »Ah, wenn mich meine Augen nicht täuschen, sind das Doc Boones Hunde«, sagte er. »Wir haben Sie schon erwartet, Doc. Wir haben einige Fälle von …« Er unterbrach sich mitten im Satz und blickte erstaunt
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