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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut
Autoren: Hans Waal
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noch unterscheiden, Evelyn?
    Wenigstens hast du mal live mitbekommen, wie die Leute beim Fernsehen tatsächlich ticken - vor allem aber, wie andere junge Leute alte Nazigeschichten einordnen. Weißt du noch, was Jenny sagte, als ich ihr vorwarf, wie sie überhaupt bei diesem Beknackten-Sender arbeiten könne, bei Tele Vier, wo es wirklich nur um Sex und Crime geht, Blut und Pornos für Arme? Job sei Job, hat sie geantwortet, und dass wir es genauso gemacht hätten, aber außerdem sagte sie wörtlich: Das ganze Thema sei doch auch irgendwie Porno, alte Faschisten, BKA und das alles. Es ist ein verdammtes Trash-Thema, Evelyn, wie irgendwelche Menschenfressergeschichten, ein bisschen gruselig, aber in Wirklichkeit weit weg von jedem durchschnittlichen Fernsehsessel aus gesehen.
    Da hast du ganz schön geschluckt, was? Jedenfalls hast du dich ziemlich zaghaft angehört, als Gerd dich anflehte, du solltest das Küken rausschmeißen, du wärst doch bei der Polizei. Sogar »bitte« hast du zu Jenny gesagt. Aber letztlich hat sie es erst kapiert, nachdem ich mit ihr auf den Flur musste, weil wir den zwei Schwestern beim Rangieren im Weg standen, die das leere Bett neben Gerd gegen eins mit einem neuen Patienten tauschen wollten.
    Ein paar Sekunden sah mich Jenny vor der Tür noch wütend an, dann schaltete sie auf enttäuscht, aber die Nummer zog auch nicht mehr bei mir. Ich sah einfach an ihr vorbei - und etwa fünf Türen weiter eine Traube von Leuten stehen, bei denen es auch ziemlich hoch herging für einen Krankenhausflur. Während sich Jenny aus ihrem Kittel schälte, erkannte ich sogar mehrere Stimmen: Eine gehörte definitiv Elisabeth von Jagemann, dazu die der Schwester vom Empfang, die mit verschränkten Armen die Tür zu einem Krankenzimmer versperrte. Und die dritte klang - ob du’s glaubst oder nicht - wie Fritz. Jetzt hörte ich auch schon Gespenster.
    »... und wenn Sie ein Außerirdischer sind«, kreischte Schwester Gülsen, »hier kommen nur Verwandte rein!«
    »Aber wir sind doch verwandt«, brüllte der Geist zurück.
    Sein Kopf ragte aus einer Masse grauer Anzüge heraus, und wenn es dein Freund Jäger war, wie ich vermutete, kam ihm das Bekenntnis zu seinem Bruder eigentlich recht leicht über die Lippen. Liesbeth allerdings forderte die Schwester auf, sich seinen Ausweis zeigen zu lassen. Vor Spannung hätte ich beinahe Jenny vergessen, die mich unverwandt anstarrte. Wahrscheinlich war das der Gipfel für sie, dass ich mich nun auch noch für die Probleme anderer Leute mehr interessierte als für ihre. Das Gezeter hinter ihrem Rücken schien sie jedenfalls nicht zu kümmern, und dass dies auch unbedingt so bleiben musste, war mir erst in dem Moment klar, als sie sich endgültig beleidigt von mir abwandte.
    »Warte«, rief ich und überlegte fieberhaft, wie ich es Liesbeth und Fritz wenigstens ersparen konnte, auch noch in irgendeinem beknackten Boulevardmagazin vorgeführt zu werden.
    Jenny stapfte noch ein paar Schritte weiter, dann blieb sie stehen. Ihr Siegerlächeln törnte mich so was von ab, aber egal.
    Nachdem die Kleine mit dir verschwunden war, ging es Busch schlagartig besser - im Gegensatz zu mir, und das lag nicht nur daran, dass ich mir mit ihm nicht mehr viel zu sagen hatte.
    »Jagemann haben sie übrigens vorhin erschossen«, sagte ich, »falls dich das noch interessiert.«
    Es sah nicht so aus. Ohne den engen Verband um seine Schultern hätte Gerd sicher damit gezuckt. »Wenigstens konsequent«, sagte er nur und lächelte mich an: »Und was ist mir dir?«
    »Mit mir?« Ich wusste nicht, was er wollte.
    »Ja, mit dir und Jäger. Fühlst du dich nicht mitschuldig?«
    Erschüttert sah ich in sein Gesicht. Selbst wenn es so wäre - wie konnte er mich das fragen? Wie wenig Takt muss einer ...
    »Mitschuld«, sagte eine gequälte Stimme aus der Ecke, »dass ich nicht lache. Am Ende aller Tage gibt es immer nur Opfer. Hab ich nicht Recht, Fräulein Thorwart?«
    Es war nicht nur das Fräulein, das mir die Sprache verschlug. Auch Gerd rappelte sich so weit auf die Seite, wie es ihm möglich war: »Da schau an, der Herr Professor. Willkommen im Club!«
    Auf dem Kopf trug Zeitz einen Turban aus Binden und schnell hatten sich die neuen Bettnachbarn über ihre Verletzungen ausgetauscht. Man hatte ihn zur Hälfte eingegipst und wegen des Verdachts auf ein Schädelhirntrauma vorübergehend auf der Intensivstation geparkt. Bis auf ein paar gebrochene Rippen musste man sich aber keine großen Sorgen um
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