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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut
Autoren: Hans Waal
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bleibt der Mist liegen, wo er ist.«
    »Ich meine es ernst, Benny: Die SoRex ist mir scheißegal. Aber dass Wolf Jäger damit durchkommt. Wie eine Auftragskillerin hat der mich auf seinen eigenen Bruder angesetzt. Und ich Idiot ...«
    »Na ja, man könnte auch das Vergangenheitsbewältigung nennen. Hör endlich auf, dir für alles die Schuld zu geben, Evelyn! Sag mir lieber, was wir jetzt mit den ganzen Heften machen sollen.«
    »Wir? Versteh mich nicht falsch, aber das wirst du mal schön allein entscheiden. Ich selbst bin viel zu befangen, jeder würde sagen, die will sich nur rächen, verschmähte Liebe und so. Nein. Fritz hat dir seine Geschichte anvertraut. Das letzte Heft soll ich dir auch geben, schönen Gruß noch mal von Liesbeth. Das ist dein Plumpsack. So einfach wirst du dein Erbe auch nicht los.«
    »Wieso? Ich kann sie doch einfach hier unten lassen - bis auf die Kiste natürlich. Da passen nämlich genau meine Schallplatten rein, und sie ist, wenn du so willst, auch ein Andenken an Fritz. Ja, genau so machen wir das: Wir legen die Scheißhefte einfach in den Heldenstollen, stellvertretend für ihn ...«
    »Wohin?«
    »In den Heldenstollen. Da wo sie alle liegen, gleich hier nebenan.«
    »Was?! Bist du verrückt? Wir haben es in einem Massengrab getrieben? Das glaube ich nicht! Nie im Leben! Du verarschst mich ...«
    »Nein, warte, irgendwo habe ich es, 1963, 75, es ist noch gar nicht so lange her, aha - hier, 2002. Willst du es selber lesen?«
    12. Oktober 2002 Du meine gute Liesbeth! Heute gibt es wieder Trauriges zu vermelden, besonders Trauriges sogar: Der kleine Carl hat gestern für immer die Augen geschlossen.
    Mittags stand er noch am Herd und vertraute mir an, es habe alles keinen Zweck mehr. Nie zuvor habe ich ihn so reden hören, nicht aus diesem Mund, der immer nur scherzte, kostete und die Lippen schürzte - genau wie wir, wenn er sich wieder einmal selbst übertroffen hatte. Zwei Stunden später legt er sich einfach hin und steht nicht mehr auf. Außer einem schwachen Blutdruck konnte Josef nichts finden. Otto schimpfte ihn deshalb einen Simulanten. Wir hatten alle Hunger. Trotzdem nutzt es natürlich wenig, einem Lebensmüden mit dem Standgericht zu drohen. Der Unsinn gipfelte in Ottos neuestem Erlaß, wonach grundloses Sterben künftig wie Fahnenflucht behandelt werde. Carl gähnte nur, dann schlief er einfach ein. Und weißt Du, was das Schlimmste ist? Ich kann ihm das nicht einmal mehr übelnehmen.
    Wir waren ein Jahrgang. Das schweißt zusammen. Jetzt sind wir nur noch zu viert, und das bedeutet leider auch: kein frisches Brot mehr. Konrad ist der letzte, der den Teig halbwegs hinbekommt, und läßt uns das sofort spüren. Sogar Heimaturlaub hat er verlangt, dieser Spitzbube. So sparen wir Mehl.
    Wie Du siehst ist es immer noch das Gleiche, sobald wir wieder einer weniger geworden sind, und doch ist diesmal alles anders. Carl ist noch nicht mal im Heldenstollen, da rumort es schon in der Truppe. Die unheimliche Stille über uns macht alle unruhig und läßt sich auch auf Befehl nur noch schwer ignorieren. Zu lange schon schweigen die Geschütze, neuerdings hören wir selbst die feindlichen Flugzeuge nur noch selten über die Lüftungsschächte donnern. Der Jude redet schon von einem neuen Spähtrupp. Otto und ich sind dagegen. Er selbst kann kaum noch laufen. Zwei müssten aber mindestens raus, und kämen die nicht zurück, wäre die Anlage unmöglich zu halten, mit anderthalb Mann.
    Die Zeremonie für den kleinen Carl ist heute Abend. Von Beerdigung spricht niemand mehr. Wäre ja auch zu komisch unter der Erde! Verdient hat er es nicht, aber aus Platzmangel und Gründen der Hygiene findet auch er im Heldenstollen seine Ruhe. Statt der üblichen Beförderung werden wir Carl für seine Feigheit allerdings posthum zum Standartenführer degradieren und ihm wohl auch das EK Zwei abnehmen müssen, bevor er in seine Nische darf.
    Hoffentlich muß ich nicht selbst Hand anlegen, aber Orden sind nun mal knapp, und mir fehlt die zweite Klasse eigentlich noch. Glaub mir, Liesbeth, wenn ich nicht genau wüßte, daß es Carl einerlei wäre, würde ich seins bestimmt nicht tragen. Außerdem werde ich nur im Stillen für ihn beten, denn er mochte den Gedanken nie, daß es nach dem Tod noch weitergeht. Und wenn wir die Dinge einmal beim Namen nennen: Ob Gott nun mit uns ist oder nicht, EK Zwei oder Vier - irgendwann, so fürchte ich auch langsam, wird unser Auftrag nicht mehr zu erfüllen sein. So
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