Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
Ofeninnern. Die heiße Luft wurde in ein Rohrsystem unter dem Boden des Bades geleitet, um das Wasser für die nackte Elite angenehm warm zu halten. Selbst von Balthasars Standpunkt in drei Metern Entfernung von den Flammen aus war die Hitze beinahe unerträglich, und der Lärm des prasselnden Holzes und der umherwirbelnden Luft schier ohrenbetäubend. Ursprünglich hatte der Sklave die Schreie aus dem Bad und das Rufen der judäischen Soldaten, die draußen ausschwärmten, nicht wahrgenommen. Doch jetzt, da er von seiner Arbeit aufsah und direkt vor sich einen blutverschmierten, mit einem Schwert bewaffneten Syrer erblickte, verließ er seinen Posten und rannte um sein Leben – durch das offene Holztor auf die Straße. Balthasar wollte gerade das Gleiche tun, als eine gespenstische Stimme rief: »Stehen bleiben!«
Er drehte sich um und erblickte einen einzelnen, knabenhaften judäischen Soldaten, der am Hintereingang des Bades stand, das Schwert in den zitternden Händen.
» HIER DRÜBEN !«, schrie er seinen Kameraden zu. » HIER DRÜBEN ! ICH HABE IHN GEFUNDEN !«
Balthasar würde sich nicht von einem einzelnen Soldaten mit zitterndem Schwert gefangen nehmen lassen. Und er würde ganz bestimmt nicht abwarten, bis weitere eintrafen. Er rannte auf das hölzerne Tor zu.
»Halt!«
Der Soldat hob das Schwert und hielt es vor sich, genau, wie er das Schwert zu halten gelernt hatte. Er stürmte auf Balthasar zu, genau wie er zu stürmen gelernt hatte. Doch während er sich darauf vorbereitete, seinen Feind zu durchbohren, wie er es eben gelernt hatte, widerfuhr dem Soldaten etwas, worauf er völlig unvorbereitet war und womit er nicht umgehen konnte: Balthasar rollte sich auf den Rücken und schleuderte ihn mithilfe seiner Beine in die Luft …
… und in den offenen Ofen.
Der Soldat hörte, wie die Eisentür mit einem lauten Krachen hinter ihm zuschlug. Er hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde. Er versuchte aufzustehen, doch es war gerade genug Platz, um sich hinzukauern. Instinktiv versuchte er, die Flammen mit den Händen abzuwehren, doch seine Hände brannten längst. Er konnte sehen, wie sein Fleisch Blasen warf und schwarz wurde, schließlich von seinen Knochen glitt wie Wachs von den Seiten einer Kerze. Er spürte, wie die Kleidung an seinem Körper brannte und mit seiner Haut verschmolz, wie seine Haare an seiner Kopfhaut zerrannen.
Balthasar hörte die Schreie des Soldaten durch die Eisentür hindurch. Er schloss die Augen und wandte sich ab, während von innen Fäuste gegen die Tür hämmerten. Als er die Augen wieder öffnete, standen zehn Soldaten vor ihm.
»Lass dein Schwert fallen!«, schrie einer.
Angesichts der Vorstellung, es mit ihnen allen aufzunehmen, klemmte Balthasar sich das Schwert – von dessen Klinge immer noch Blut tropfte – zwischen die Zähne, drehte sich um und kletterte die Ziegelsteinmauer des Bades empor. Er konnte sich immer noch einen Weg über die Dächer erkämpfen und von einem Gebäude zum nächsten springen, bis er ein Pferd fand oder ein Kamel oder irgendetwas, das besser war, als es gleichzeitig mit zehn Männern aufzunehmen.
Doch als er sich auf das Tonnendach hochzog und aufstand, verschwand jegliche Hoffnung aus seinem Körper wie Blut aus einem abgeschlagenen Kopf. Auf dem Platz unter ihm befanden sich beinahe hundert Männer. Und die Leiche seines wundersamen Kamels. Die Wolke aus unbestimmtem Zorn war zu einer Meute aus sehr bestimmten Soldaten geworden, und Balthasar musste einsehen, dass er vollständig und hoffnungslos umzingelt war.
Ihm standen folgende Optionen offen: Er konnte bis zum Tod kämpfen und so viele dieser den Kaiser verehrenden Bastarde mit sich nehmen wie möglich. Ergebnis? Hundertprozentige Wahrscheinlichkeit, dass er sterben würde. Oder er konnte sich ergeben und würde mit ziemlicher Sicherheit hingerichtet werden. Ergebnis? Neunundneunzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass er sterben würde.
Was gab es da zu überlegen?
Man hatte Balthasar die Handgelenke fest auf den Rücken gebunden und seine Kleidung sorgfältig nach Schmuggelware durchsucht. Von je einem Soldaten am Arm gepackt, wurde er quer über den Platz zu der Stelle gebracht, an der Petrus mit einem überaus zufriedenen Grinsen wartete. Der siegreiche Hauptmann zögerte einen Augenblick und ließ das Ganze auf sich wirken. Genoss es. Er stand dem Ende all seiner Schwierigkeiten von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
»Der Geist von Antiochia«, sagte er endlich.
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