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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
Autoren: Seth Grahame-Smith
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gesellte sich noch eine und dann noch eine, bis die Luft hinter Balthasars Kopf mit einem Chor aus leisen Pfeiftönen erfüllt war – von denen jeder einzelne als Sopran anfing und sich zu einem Tenor steigerte, während sie lauter wurden und näher kamen. In dem Augenblick, in dem Balthasar erkannte, worum es sich handelte, bohrten sich Pfeile in den Boden hinter ihm.
    Sie schießen im Reiten , dachte er.
    Kein Pfeil war dicht genug herangekommen, um ihn zu beunruhigen. Das überraschte Balthasar nicht. Jeder erfahrene Bogenschütze wusste, dass einen Pfeil von einem galoppierenden Pferd abzuschießen in etwa den gleichen Effekt hatte, wie ein Stoßgebet gen Himmel zu schicken. Selbst bei einer Entfernung von zwanzig Metern hatte man kaum Aussicht, das Ziel zu treffen. Aus dieser Distanz war es hoffnungslos – entweder ein Zeichen von Verzweiflung oder von Wut. Balthasar glaubte nicht, dass die Judäer verzweifelt waren. Sie waren zornig, und sie würden diesen Zorn an seinem Schädel auslassen, falls sie ihn einholen sollten. Schließlich jagten die zahllosen Legionen in jener Wolke nicht nur einen Dieb, der sich mit einem Vermögen davongemacht hatte, und sie waren nicht nur hinter einem Mörder her, der eine Handvoll ihrer Kameraden auf dem Gewissen hatte …
    Sie versuchten, »den Geist von Antiochia« zu fangen.
    Dieser Spitzname beruhte auf den einzigen beiden Dingen, die die Römer von ihm wussten: erstens, dass er gebürtiger Syrer war, was es ziemlich wahrscheinlich machte, dass er in Antiochia aufgewachsen war; und zweitens, dass er ein besonderes Geschick dafür hatte, in die Häuser der Reichen zu schlüpfen und sich mit ihren Schätzen davonzustehlen, ohne gesehen oder gehört zu werden. Abgesehen von diesen dürftigen Tatsachen und einer groben Beschreibung seines Äußeren hatten die Römer nichts – sie kannten weder sein Alter, ja noch nicht einmal seinen richtigen Namen. Und auch wenn »der Geist von Antiochia« kein Geniestreich von einem Spitznamen war, war er so schlecht auch wieder nicht. Balthasar musste zugeben, dass er ihn gern inmitten der »bekannten Verbrecher« auf die Mauern öffentlicher Gebäude gemalt sah – immer in Rot, immer auf Latein: Belohnung! Der Geist von Antiochia – Feind Roms! Dieb des Östlichen Reiches! Sicher, die Verrufenheit eines Hannibal oder Spartacus hatte er nicht, aber in seinem kleinen Winkel der Welt hatte er einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht.
    Ein zweiter pfeifender Chor ertönte, gefolgt von einer zweiten Welle aus Pfeilen, die hinter ihm einschlug. Balthasar drehte sich um und sah die letzten zu Boden fallen. Zwar war diese Salve immer noch zu weit entfernt, um ihm Grund zur Sorge zu geben, doch ganz so aussichtslos wie die erste war sie nicht mehr.
    Sie kommen näher , dachte er.
    »Schneller, Dummkopf!«, brüllte er dem sturen Tier zu und schlug ihm die Fersen in die Flanken.
    Wenn er nur ein oder zwei Minuten aus ihrem Blickfeld verschwinden und eine andere Richtung einschlagen könnte. Selbst jetzt, mit einer unbestimmten Anzahl judäischer Soldaten, die ihm auf freier Strecke hinterherjagten, auf einem müden, beißend riechenden Kamel und nur mit einem stumpfen Schwert zum Schutz, und obwohl seine Verfolger bestenfalls zwei Minuten hinter ihm waren, hatte Balthasar immer noch eine Chance. Jahrelang hatte er sich ein Netzwerk aus Höhlen eingeprägt, in denen er sich verstecken konnte, Abkürzungen quer durch öde Landschaften, die besten Orte, um sich auf der Flucht Nahrung und Wasser zu beschaffen. Er hatte gelernt zu überleben. Selbst in den Zeiten nicht aufzugeben, in denen die ganze Welt darauf versessen zu sein schien, ihm den Garaus zu machen. Zeiten wie diesen.
    Er spürte, dass sein Kamel langsamer wurde, und trat ihm nochmals kurz in die Flanken.
    Komm schon … bloß noch ein bisschen …
    Das Tier hatte Schwierigkeiten gehabt, mit der Last an Schätzen auf seinem Rücken ein scharfes Tempo anzuschlagen, und Balthasar war bei der Flucht aus Tel Arad gezwungen gewesen, ein paar seiner besonders schweren Beutestücke abzuwerfen. Der Anblick all dieses Reichtums, der über den Sand kullerte, hätte ihm beinahe den Magen umgedreht. Bei dem Gedanken an irgendeinen Glückspilz von Schäfer, der über sein Diebesgut stolperte, verkrampfte sich sein Kiefer, und er knirschte mit den Zähnen. Es gab nichts Ärgerlicheres, nichts Ungerechteres, als einem Mann die Früchte seiner Arbeit vorzuenthalten, besonders wenn diese Früchte aus
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