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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
Autoren: Seth Grahame-Smith
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friedlichen Moment raubt.«
    Doch Tel Arad war gar nicht so übel. Es hatte eine Weile gedauert, aber schließlich hatte sich Decimus mit seiner neuen Stadt angefreundet. Nicht wegen ihres kulturellen Reichtums oder der Schönheit der Natur – sie hatte weder das eine noch das andere vorzuweisen. Nicht wegen der dort ansässigen Frauen – er hatte seine eigenen importiert. Nein, er hatte an seiner neuen Heimat Gefallen gefunden, weil sie, um es höflich auszudrücken, eine Müllhalde war.
    In Rom gab es immer jemand Mächtigeren, jemand, den man milde stimmen oder bezahlen musste. Treulosigkeit und Verrat hatten sehr reale, sehr strenge Konsequenzen. Rom war eine Stadt der Gesetze. Die Wüste dagegen war gesetzlos. In Tel Arad war Decimus der Einzige, der milde gestimmt werden musste. Seine Taschen waren die einzigen, die gefüllt werden mussten. Er war das Gesetz. Eine Rolle, die zu spielen er in Rom nie Gelegenheit gehabt hatte, und er genoss sie von Tag zu Tag mehr.
    Als Statthalter dieses gottverlorenen kleinen Sandkastens besaß er die Macht – ja, die Verantwortung – sicherzustellen, dass die arabischen Waren auf dem Weg nach Westen »römische Standards« erfüllten; ein Begriff, der sich sehr vage und immer wieder anders definierte, der sich jedoch mehr oder weniger folgendermaßen zusammenfassen ließ: »Dinge, die Decimus nicht für sich selbst einbehalten wollte«.
    Er ernannte eine Gruppe Ortsansässiger zu seinen »Inspektoren« und ließ sie dann auf den Basar los, wo sie nach Belieben sogenannte Qualitätskontrollen durchführten. Diese Inspektoren nahmen alles von Schmuck über Töpferwaren bis hin zu Stoffen und Lebensmitteln ins Visier. Und wenn ein Artikel angeblich von »minderer Qualität« war oder »unter dem Verdacht stand, eine Fälschung zu sein«? Dann wurde er konfisziert und zur weiteren Prüfung in das Anwesen des Statthalters gebracht. Dort oblag Decimus die endgültige Entscheidung, ob ein Artikel zurückgegeben oder ob er auf unbestimmte Zeit einbehalten wurde – in einem Raum, den er eigens zu diesem Zweck hatte erbauen lassen. In den sechs Monaten seit Beginn der Inspektionen konnte sich nicht ein einziger Händler daran erinnern, dass je ein Artikel zurückgegeben worden wäre. Und wenn sie sich beschwerten? Wenn sie auch nur den geringsten Ärger verursachten? Dann sorgte Decimus dafür, dass sie nie wieder einen Fuß auf seinen Basar setzten.
    Jetzt war er derjenige, der die Macht besaß, jemanden ins Exil zu schicken.
    Bei so vielen gestohlenen Kostbarkeiten, die an einem Ort gehortet wurden, hatte es nicht lange gedauert, bis Balthasar Wind von der Sache bekam. Die Gerüchte waren auf den üblichen Wegen zu ihm gedrungen, und sie waren mit dem üblichen Hang zur Übertreibung übermittelt worden:
    »Noch nie hat es so einen diebischen Römer gegeben! Er sitzt auf einem Berg an Schätzen, der die Götter vor Neid erblassen ließe!«
    Und auch wenn diese Gerüchte normalerweise nicht viel zu besagen hatten, rechtfertigte selbst die entfernte Möglichkeit, ein paar gestohlene Schätze zu stehlen und dabei einen römischen Statthalter bloßzustellen, einen Besuch seinerseits. Und so brach Balthasar von Damaskus auf, wo er einem anderen Gerücht hinterhergejagt war. Demjenigen, dem er seit Jahren hinterherjagte. Dem einzigen, das wirklich von Bedeutung war. Er ritt durch Bosra nach Süden, wobei er die Straßen nach Möglichkeit mied. Und in der fünften Nacht seiner Reise sah er die Fackeln von Tel Arad, die in der Ferne brannten, und darüber die großen weißen Mauern des Anwesens des Statthalters.
    Am nächsten Tag holte er auf dem Basar Erkundigungen ein, in der Hoffnung, ein paar der Geschichten bestätigt zu bekommen, die ihm im Norden zu Ohren gekommen waren. Zu seiner Überraschung erhärteten sie sich nicht nur, sondern der Wert der konfiszierten Güter war viel höher als erwartet. Goldbecher, Silberarmbänder, seltene Parfüms und Gewürze – alles entwendet von diesem Decimus. Alles hinter seinen Mauern weggesperrt.
    Anscheinend handelte es sich hier um einen jener seltenen Fälle, in denen die Wahrheit die Legende sogar noch übertraf.
    Balthasar hatte sein Motiv. Jetzt brauchte er nur noch eine Gelegenheit. Er überwachte das Anwesen des Statthalters von Weitem und brachte in Erfahrung, wie viele Wächter es gab, wann und wie sie auf dem Grundstück patrouillierten, welche Art von Waffen sie trugen. Obwohl Tel Arad eine römische Provinz war und die Einwohner
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