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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
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Stunde, wenn wir
langsam fahren. Ich werde unterwegs meinen Bruder anrufen und ihn
fragen, ob er schon etwas über Beeinträchtigungen der Natur
sagen kann.«
    Daraufhin küßt sie ihn, genau dort, wo jeder es sehen
kann. Er ist verrückter geworden. Definitiv verrückter.
     
    Auf dem Meeresboden vor dem Nördlichen Hang sind die Dinge in
Bewegung geraten. Zunächst einmal verfügten die
Sprengköpfe über eine Menge kinetischer Energie, und weil Scuttlehead die Sache hundertprozentig erledigte, breitete
sich zudem auch eine Wolke aus Antiprotonen vor ihnen aus, die das
Energiepotential noch erhöhten.
    Aber das war noch gar nichts im Vergleich zu den Sprengköpfen
selbst. Wenn ein Antineutron mit einem Berylliumkern kollidiert,
absorbiert es ein Neutron, und bei der gegenseitigen Liquidation wird
etwa neunmal soviel Energie freigesetzt wie bei der Spaltung eines
Uranatoms. Außerdem wandelt es den Kern in zwei unglaublich
dicht gepackte Alpha-Teilchen um. Weil sie über die gleiche
Ladung verfügen, stoßen sie sich in entgegengesetzte
Richtungen ab und vermehren die Gesamtenergie noch um einen
Prozentpunkt. Die hochenergetischen Alpha-Teilchen
›reichen‹ ihre Energie bereitwillig an die von ihnen
durchdrungene Materie weiter, in Form von Wärme,
elektromagnetischer Strahlung und mechanischer Bewegung aufgrund der
Wärme und Strahlung.
    Es ist das Schicksal jeglicher Energie, sich schließlich in
Wärme umzuwandeln; das ist das Prinzip der Entropie. Die Energie
der Bombenexplosionen wurde auf dem Meeresboden in Wärme
umgewandelt, der zum Großteil aus Eis dicht unterhalb des
Gefrierpunktes besteht – würde nicht ein derartiger
Wasserdruck auf den Boden des Ozeans wirken, wäre er
überhaupt nicht gefroren.
    Hier handelt es sich aber um ein ganz besonderes Eis.
    Bei näherer Betrachtung weist Eis die seltsame Eigenschaft
auf: es schwimmt. Feste Butter versinkt in flüssiger Butter,
festes Eisen versinkt in flüssigem Eisen, fester Stickstoff
versinkt in flüssigem Stickstoff – aber festes Wasser
schwimmt auf flüssigem Wasser.
    Man stelle sich ein Mikroskop vor, dessen Vergrößerung
so hoch ist, daß man eine Antwort auf dieses Mysterium
erhält. Die Wassermoleküle sind geknickt, und wie auch
immer man sie verbindet, sie lassen sich nicht kompakt anordnen. Wenn
Wasser gefriert, konfigurieren die Moleküle sich zu Kristallen,
und diese weitmaschige Struktur verfügt über große
Zwischenräume – wobei die Distanzen größer sind,
als wenn sie sich umeinander herumbewegen würden.
    Wasser kann auch auf eine andere Art gefrieren, so daß sich
in den Zwischenräumen andere Moleküle einlagern lassen.
Diese Struktur trägt die Bezeichnung clatratus – lateinisch für ›Käfig, Gerüst oder
Gitter‹ – und alle möglichen Dinge können dort
deponiert werden.
    So sind zum Beispiel dreiundzwanzig Wassermoleküle in der
Lage, vier Methanmoleküle zu integrieren.
    Der Meeresboden ist eine wahre Methanquelle. Alles, was auf ihn
hinabsinkt, verrottet, und es existiert fast kein freier Sauerstoff.
Bei vielen anaeroben Verfallsprozessen wird Methan freigesetzt. Tote
Materie verwest schon seit langem auf dem Grunde der Meere – und
seit den letzten paar Eiszeiten ist es dort unten kalt genug gewesen,
das Methan in Lagerstätten einzuschließen. Auf dem Boden
des Arktischen Ozeans gibt es viele solcher Betten mit einer
Stärke von einigen Dutzend Metern und einer Ausdehnung von
mehreren zehntausend Quadratkilometern.
    Also wird die Energie der KAMS-Bomben in den Meeresgrund geleitet
und erwärmt das dicht unterhalb des Gefrierpunktes befindliche
Eis, wobei Methan freigesetzt wird. Darüber hinaus lösen
die kollabierenden Lagerstätten unterseeische Erdrutsche und
Seebeben aus.
    Clatrati sind instabile Moleküle. Sie sind zwar
groß, verfügen aber nur über schwache intramolekulare
Bindekräfte, weshalb es kaum mehr als eines harten Stoßes
bedarf, sie zu knacken; die Wassermoleküle rekonfigurieren sich
zu normalem Eis… und das Methan entweicht.
    An diesem Abend erzittert der Meeresboden unter Erdrutschen,
Seebeben und Druckwellen. Das über Jahrtausende gespeicherte
Methan entweicht blasenförmig auf großer Fläche,
steigt empor an die Oberfläche des Arktischen Ozeans und quillt
durch die zahllosen Ritzen und Sprünge im Eis. Binnen achtzehn
Stunden kollabieren die am Fuß des Nördlichen Hanges
verlaufenden fünfzehn Meter dicken, zirka hundert Kilometer
breiten und fast sechshundertfünfzig Kilometer
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