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Die Mütze

Die Mütze

Titel: Die Mütze
Autoren: Wladimir Woinowitsch
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Rentiermütze, sondern die von seinem Vater geschenkte Wolfsmütze hielt. Efims Kopf war verbunden, aber das Gesicht frei. Er sah sehr friedlich aus. Ich legte mein bescheidenes Sträußchen zu seinen Füßen nieder, umarmte Kukuscha und drückte Tischka die Hand. Während ich die anderen begrüßte, sah ich auch Trjoschkin. Er war offenbar nach mir gekommen und benahm sich noch seltsamer als sonst. Er hielt sich schief, zuckte fortwährend und sah sich um, als wollte er etwas stehlen oder habe es bereits getan. Er ging auf den Sarg zu, beugte sich über den Toten, küßte ihn auf die verbundene Stirn und betrachtete darauf lange und aufmerksam die erstarrten Gesichtszüge, als wollte er in ihnen eine nur ihm verständliche Antwort lesen.
    Jemand berührte meinen Ellenbogen. Ich sah mich um, es war Kukuscha.
    »Kommt er dir nicht irgendwie merkwürdig vor?« flüsterte sie und deutete mit den Augen auf Trjoschkin.
    »Er ist auch sonst merkwürdig«, sagte ich und sah in diesem Augenblick, wie Trjoschkin Efim hastig bekreuzigte, aber nicht mit drei Fingern, wie üblich, sondern mit der ganzen Faust, und wie er dann die Faust in den Sarg, unter den Hals des Verstorbenen steckte und sofort wieder herauszog.
    »Hast du gesehen?« flüsterte Kukuscha, »er hat da etwas versteckt.«
    »Das werden wir gleich klären.«
    Ich trat an den Sarg, ohne Trjoschkin aus den Augen zu lassen. Er beobachtete alle meine Bewegungen. Vor seinen Augen fuhr ich mit der Hand unter Efims Nacken und hatte sofort ein mehrfach gefaltetes Blatt Papier in der Hand. Ich zog es heraus und wollte es entfalten.
    »Halt, halt!« Trjoschkin stürzte auf mich zu, »faß es nicht an. Es gehört nicht dir!« Und er streckte die Hand aus.
    »Und was ist es?« Ich hielt die Hand mit dem Blatt hinter meinen Rücken.
    »Egal«, knurrte Trjoschkin, der mich unverwandt anstierte, »gib her, es gehört mir.«
    »Aber Sie haben kein Recht«, mischte sich Kukuscha ein, »ohne Erlaubnis in einen fremden Sarg zu greifen und nicht zur Sache gehörige Gegenstände hineinzulegen.« Sie nahm mir den Zettel aus der Hand und entfaltete ihn. Ich warf einen Blick über ihre Schulter und sah ein einziges Wort, mit großen schrägen Buchstaben geschrieben und mit Ausrufezeichen versehen: »Operation!«
    Trjoschkin wand sich vor Verlegenheit und wußte offenbar nicht, wie er sich verhalten sollte.
    »Was soll das heißen?« fragte Kukuscha mit gerunzelten Brauen.
    »Also: Das heißt, daß er mir ein Rätsel aufgegeben hat. Ich habe es herausbekommen, aber er war tot. Da dachte ich, ich muß ihm die Lösung mitgeben. Vielleicht wird er sie dort lesen. Vielleicht gibt er mir ein Zeichen. Geben Sie her!« bat er erregt. »Ich lege es wieder dahin. Der Zettel stört doch nicht!«
    Vor dem Tor brummte der vorfahrende Autobus.
    »Der wird ja sowieso verbrennen«, seufzte Kukuscha, gab Trjoschkin den Zettel und ging zum Ausgang.
    Während der Bus wendete und rückwärts einparkte, fuhr ein schwarzer Wolga vor und hielt etwas abseits. Dem Wolga entstieg Pjotr Nikolajewitsch Lukin in einer blauen zerknautschten Baskenmütze mit dem Schwänzchen. Er nahm sie ab, trat vor den Verstorbenen, betrachtete ihn eine Weile, flüsterte mit Kukuscha, pflanzte sich anschließend am Kopfende des Sarges auf und hielt eine Rede, in der er sämtliche Verdienste Efims aufzählte, einschließlich seiner Fronterlebnisse, der achtzehn Jahre Mitgliedschaft im Schriftstellerverband und der elf gedruckten Bücher. Außerdem rühmte er den Verstorbenen als mutigen und guten Menschen, der im Leben nur das Gute gesehen habe. Ich war schon darauf gefaßt, daß Lukin jetzt auf die anderen Menschen zu sprechen käme, die nur das Schlechte sehen, weil sie selber schlecht sind, und bei diesen Worten mich ansehen würde. Aber er unterließ dies und schloß mit dem Gelübde, daß die Erinnerung an Efim Semjonowitsch Rachlin ewig in unseren Herzen leben würde.
    Dann fuhren wir in zwei Autobussen zum Krematorium. Ich bekam einen Platz in dem Bus, in dem auch der Sarg stand.
    Am Sadowyjring hatten wir Grüne Welle und kamen fast ohne halten zu müssen voran. Efim lag vor mir mit hochgebettetem, bandagiertem Kopf, der inzwischen spitz gewordenen Nase, geschlossenen Augen und einem Ausdruck, als ginge er konzentriert einem ernsten und wichtigen Gedanken nach. Der Autobus bremste und fuhr wieder an. Sonnenflecken glitten immer wieder über sein friedliches Gesicht wie ein Widerschein dessen, woran er dachte.
    Trjoschkin,
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