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Die Mütze

Die Mütze

Titel: Die Mütze
Autoren: Wladimir Woinowitsch
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Soljonyj, der jahrelang Mitgliedsbeiträge veruntreut und einen schwungvollen illegalen Ikonenhandel betrieben hatte, hoffte, seinen guten Ruf wiederherzustellen. Bromberg war freiwillig erschienen, aus Angst. Vor vielen Jahren hatte man ihm Kosmopolitismus, Zionismus und kleinbürgerlichen Nationalismus vorgeworfen. Alles, was er geschrieben hatte, wurde zerpflückt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Mit der vorsätzlich destruktiven Wirkung seiner Bücher beschäftigte sich eine Sonderkommission mit Tscherpakow an der Spitze. Alle seine Versuche, sich zu rechtfertigen, wurden als Äußerung besonders raffinierter Spitzfindigkeit, Doppelzüngigkeit und Heuchelei interpretiert, als Versuch, sich jeder Verantwortung zu entziehen, und er hatte damals solche Qualen ausgestanden, daß er heute bereit war, jeden anderen zu Tode zu hetzen, ihm an die Kehle zu springen, ihn in Stücke zu reißen, nur um künftig selber ungeschoren zu bleiben.
    Die Sekretärin ging hinaus. Lukin las noch lange in dem vor ihm liegenden Schreiben, hob dann den Kopf, sah Efim an und fragte: »Wie geht es Ihnen, Genosse Rachlin ?«
    Gestern war er noch Efim gewesen, heute - Genosse Rachlin.
    »Danke.« Efim zuckte mit den Schultern, ihm dämmerte bereits, daß der General ihn in die Falle gelockt hatte.
    »Was heißt danke ? Haben Sie irgendwelche Beschwerden ?«
    »Nein...« Efim nahm sich fest vor, vernünftig zu sein.
    »Wann waren Sie zuletzt beim Psychiater ?« fragte unerwartet der Blonde und zog abermals den Kamm aus der Tasche.
    »Wer sind Sie eigentlich?« fragte Efim.
    »Das tut nichts zur Sache.«
    Die Tür ging lautlos auf, jemand in Grau trat geräuschlos ein. Mit einer gekonnt unauffälligen Bewegung nickte er allen zusammen zu, glitt an der Wand entlang und setzte sich hinter Bromberg. Keiner sprang auf, keiner zeigte Unruhe, im Gegenteil - alle gaben sich den Anschein, als ob nichts vorgefallen wäre, aber im selben Augenblick machte sich eine leichte Beklommenheit bemerkbar, eine wachsende Spannung, als verspürten sie die Anwesenheit einer übergeordneten Macht.
    Sobald der Graue eingetreten war, drückte Karetnikow seine Zigarette in dem Blumentopf mit dem Gummibaum aus, Soljonyj die seine am Stuhlbein, und Bromberg ging auf Zehenspitzen zu Lukins Schreibtisch und warf seine Kippe in den Marmoraschenbecher unter der Nase des Generals. Dieser blickte Bromberg befremdet an, schob den Aschenbecher zur Seite und sprach leise zu den Anwesenden: »Genossen! Wir haben uns versammelt, um uns mit dem Antrag des hier anwesenden Wassilij Stepanowitsch Karetnikow zu befassen, den ich jetzt vorlese.«
    Karetnikow verließ seinen Posten am Fenster und nahm bescheiden hinter dem Mann in Grau Platz, Lukin setzte die Brille ab und begann vorzulesen, wobei er von Zeit zu Zeit einen Blick in das danebenliegende Schriftstück warf. Der Antrag Karetnikows war in einem sonderbar gestelzten bürokratischen Stil mit künstlerischer Prätention abgefaßt. Der Verfasser wandte sich an seine Kollegen und teilte ihnen mit, wie der Literaturschaffende Rachlin sein, Karetnikows, uneingeschränktes Vertrauen und seine unermüdliche Aufgeschlossenheit gegenüber Schriftstellern der jüngeren Generation mißbraucht hätte und unter dem Vorwand, ihn sein neues Manuskript vorlegen zu wollen, in seine Wohnung eingedrungen sei, allerdings nicht, um ein Manuskript vorzulegen, sondern ihm, dem Geschädigten, die Bitte vorzutragen, sich für ihn, Rachlin, einzusetzen und seinen durch nichts gerechtfertigten Anspruch zu unterstützen. Nach entschiedener Ablehnung sei der Erpresser von Bitten zu Drohungen, von Drohungen zu Handgreiflichkeiten übergegangen und hätte das Attentat auf die anstößigste, erniedrigendste Weise ausgeführt, weshalb Karetnikow gezwungen gewesen wäre, sich in medizinische Behandlung zu begeben und auf die Erfüllung seiner alltäglichen literarischen, gesellschaftlichen und staatspolitischen Pflichten zu verzichten. »Indem ich mich an meine Kollegen und Genossen wende«, schloß Karetnikows Antrag, »bitte ich, Rachlins Verhalten zu analysieren, entsprechend zu beurteilen und damit die Ehre und Würde eines aktiven Mitgliedes unserer in ihrer Gesamtheit konformen und einmütigen schriftstellerischen Organisation zu verteidigen.«
    Beim Verlesen des Antrages herrschte ergriffenes Schweigen.
    »Wassilij Stepanowitsch«, fragte Lukin ehrfürchtig, »möchten Sie Ihrem Antrag etwas hinzufügen ?«
    »Ich wüßte nicht, was ich hinzufügen
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