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Die Mütze

Die Mütze

Titel: Die Mütze
Autoren: Wladimir Woinowitsch
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»Meinst du, daß unter ihnen keiner ist, der sich absetzen möchte? Und wer sind sie dann, wer von ihnen ist der gute und wer der schlechte Mensch ?«
    Am Ende unserer Debatten pflegte Efim zu verstummen und die Lippen aufeinanderzupressen, zum Zeichen, daß es zwecklos sei, mit mir zu streiten, denn um hohe Gesinnung begreifen zu können, müsse man selbst ihrer fähig sein.
    In allen seinen Romanen kommt es unweigerlich zu einer zentralen dramatischen Katastrophe: Feuersbrunst, Schneesturm, Erdbeben, und zwar immer mit bedrohlichen Folgen für die Gesundheit, wie Verbrennungen, Erfrierungen oder gar Ertrinken. Worauf die guten Menschen zu Hilfe eilen, fliegen, schwimmen, kriechen, sie stellen selbstverständlich ihr Blut, ihre Haut, ihre überzähligen Nieren und das Knochenmark zur Verfügung oder beweisen sonstwie ihren Mut auf andere lebensgefährliche Art.
    Efim selbst war waghalsig, aber nicht tapfer. Er konnte in ein Eisloch tauchen, sich im Pamir von einem Felsen abseilen, bei der Bekämpfung eines Ölbrandes ins Feuer springen, aber er hatte großen Respekt vor der Zahl Dreizehn, vor schwarzen Katzen, Viren, Schlangen, Hunden und Vorgesetzten. Als Vorgesetzten betrachtete er jeden, in dessen Macht es stand, ihm etwas zu bewilligen oder abzuschlagen. Deshalb zählten zu seinen  Natschalniks   Zeitschriftenredakteure, Sekretäre des Schriftstellerverbandes, Milizionäre, Wachposten, Verkäufer von Eintrittskarten, Warenhausverkäufer und Hausverwalter.
    Wenn er sich mit einem großen oder kleinen Anliegen an einen Vorgesetzten wandte, setzte er ein so mitleiderregendes Gesicht auf, daß nur ein völlig Herzloser ihm seine Bitte ab-schlagen konnte. Er bat, vielmehr er bettelte um alles, angefangen bei wirklich Wichtigem, wie zum Beispiel die Neuauflage eines Buches, bis zu völlig Nichtigem, etwa einem Abonnement für die Zeitschrift Wissenschaft und Leben. Über die Anstalten, die er getroffen hatte, damit die Literaturzeitung zu seinem Fünfzigsten eine Würdigung mit Bild brachte, über seinen Kampf um wenigstens irgendeinen Orden - darüber könnte man eine Erzählung oder sogar einen Roman schreiben. Ich habe weder das eine noch das andere vor, möchte aber bemerken, daß Efim nur ein halber Triumph beschieden war: Die Würdigung erschien ohne Bild und ohne ein einziges preisendes Epitheton, und statt eines Ordens bekam er bei der nächsten Verteilung nach Liste die Ehrenurkunde des Union-Schriftstellerverbandes.
    Aber er besaß schon einige aus Metall gefertigte Auszeichnungen. Ende des Krieges hatte er sich in seinen Papieren um ein paar Jahre älter gemacht (er war schon damals waghalsig), wurde eingezogen, kam aber nicht bis zur Front, weil er bei einem Luftangriff auf den Truppentransport verwundet wurde. Seine mißglückte Teilnahme am Feldzug brachte ihm die Medaille Für den Sieg über Deutschland ein. Zwei und drei Dezennien später wurde ihm aus demselben Grund jeweils eine Jubiläumsmedaille verliehen, im Jahre 1970 die Medaille zu Lenins hundertstem Geburtstag und 1971 die Verdienstmedaille für die Erschließung der westsibirischen Öl-und Gasvorkommen. Diese Auszeichnung empfing Efim aus den Händen des Öl-und Gasministers im Tausch gegen ein Exemplar seines Romans Das Bohrloch, der übrigens nicht auf den westsibirischen, sondern auf den Ölfeldern bei Baku spielt. Die erwähnten Medaillen zieren Efims  Fragebogen  und erlauben es ihm, in den biographischen Angaben mit würdevollster Zurückhaltung zu vermerken: »Regierungsauszeichnungen«. Manchmal schrieb er statt »Regierungs-« »Kriegsauszeichnungen«, das klang effektvoller.
    Er besuchte mich gewöhnlich donnerstags, wenn er im Geschäft gegenüber meinem Haus als Kriegsveteran ein polnisches Huhn, ein Kilo Buchweizen, Fischstäbchen, ein Glas Instant-Kaffee oder zusammengepappte, klebrige, zuckerige Fruchtgeleebonbons Zitronenscheibchen zugeteilt bekam. Er brachte dies alles in einer großen Aktentasche unter, in der sich bereits andere unterwegs eingekaufte Lebensmittel befanden, nebst einigen Exemplaren des letzten Romans, als Geschenk für zufällig getroffene, nützliche, gute Menschen. Dort befand sich natürlich auch das neue Manuskript, das er bei der ersten Gelegenheit seinen Freunden, zu denen er auch mich zählte, vorlesen wollte. Ich sehe die dicke Mappe, gelb mit braunen Bändern und dem Aufdruck »Aktennummer...« noch heute vor mir.
    Nachdem Efim seine Aktentasche auf einen Stuhl gestellt hatte, zog er
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