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Die Mütze

Die Mütze

Titel: Die Mütze
Autoren: Wladimir Woinowitsch
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lebhafteste, und er referierte mir regelmäßig und voller Beteiligung, was Kinnock über die Thatcher und die Thatcher über Kinnock gesagt habe.
    Endlich sah ich ein, daß es kein Ausweichen mehr gab, und sagte, daß ich das Manuskript gelesen habe.
    »Oh, sehr gut!« Er sprang auf, zog aus der Aktentasche ein Notizbuch mittlerer Größe mit  Jurij Dolgorukij  auf dem Deckel und aus der Rocktasche einen Parker (ein Geschenk der Ozeanologen) und sah mich erwartungsvoll an.
    Ich blickte ihn auch an und räusperte mich. Es wäre taktlos gewesen, mit dem Verriß anzufangen. Ich entschloß mich, die Pille zu vergolden und mit etwas Positivem zu beginnen. »Ich fand es gut, wie...«, sagte ich, und Efim legte das Notizbuch auf ein Knie und schrieb schnell, aufmerksam, Wort für Wort mit.
    »Aber ich glaube, daß...« Der Parker verharrte über dem Notizbuch in der Schwebe. Efims Gesicht nahm einen gelangweilten Ausdruck an. Sein Blick war immer noch auf mich gerichtet, aber seine Ohren schienen nichts mehr zu hören.
    Das war keine vorsätzliche Taktik, sondern die Bekundung eines Bewußtseins, dessen Träger nur das hört und behält, was ihm angenehm ist.
    »Du hörst mir ja gar nicht zu«, sagte ich, entschlossen, mit meiner Kritik wenigstens ansatzweise durchzukommen.
    »Doch, doch! Wieso denn nicht!« Ein wenig verlegen brachte er die Feder etwas näher an das Papier, machte aber keine Anstalten, weiterzuschreiben.
    »Verstehst du«, sagte ich, »ich glaube, daß ein Mensch, der sich gerade das Bein gebrochen hat, selbst ein sehr guter, ein sehr tapferer Mensch, wenigstens im ersten Augenblick an sein Bein denkt und nicht daran, daß der Staat ein bestimmtes Erz braucht.«
    »Kobalt«, präzisierte Efim. »Der Staat braucht es dringend.«
    »Aha. Mag sein, kann ich verstehen. Kobalt ist natürlich sehr wichtig. Aber es ruht dort bereits seit Millionen von Jahren und wird mit Sicherheit noch ein paar Tage länger dort liegen. Das Bein aber tut in diesem Augenblick verdammt weh...«
    Efim rümpfte die Nase. Ich tat ihm leid, weil mir jeder Sinn für Höheres abging. Aber er sah wohl ein, daß eine Diskussion völlig zwecklos war. Wenn einem Menschen etwas fehlt, dann fehlt es ihm eben. Deshalb wollte er unser Gespräch in den meinem Verständnis gesetzten Grenzen halten und erkundigte sich, was ich über die Gesamtkonzeption des Romans und über die Darstellungsweise dächte.
    Die Darstellungsweise war miserabel wie immer, aber ich las in seinen Augen einen solch verzweifelten Wunsch, etwas Angenehmes zu hören, daß ich wieder einmal weich wurde.
    »Ja, die Darstellungsweise...« Ich druckste. »Na ja, passabel.« Ich sah ihn wieder an und korrigierte mich. »Ganz gut.« Er strahlte.
    »Ja, ich glaube auch, daß stilistisch...« Für einen solchen Stil sollte man einen Schriftsteller totschlagen, aber ich sah Efim an und stotterte, daß an seinem Stil, abgesehen von einigen spröden Stellen, nichts auszusetzen sei...
    Bei diesen Worten griff er in die Tasche, vielleicht nach einem Taschentuch, vielleicht nach Validol, und ich verstand, daß selbst einige spröde Stellen für einen kleinen Herzanfall genügten.
    »Kleine Unebenheiten.« Ich wollte sofort richtigstellen. »Ganz kleine. Du weißt doch, daß ich schon früher wegen meines Subjektivismus angegriffen wurde. Objektiv gesehen, ist alles gut und in Ordnung.«
    »Und was sagst du zu der Stelle, wo Jegorow daliegt und zum Großen Bären hinaufschaut ?«
    Jegorow war, wie ich glaubte, der Hauptheld. Aber ich konnte mich nicht erinnern, wo er dalag und zu wem er dabei aufschaute, und war deshalb gezwungen, sowohl Jegorow als auch den Großen Bären zu loben.
    »Und die Szene im Büro des Vorstands, in der Hauptverwaltung?« Efim sah mich an, um meine Begeisterung anzufeuern.
    Mein Gott! Was für eine Hauptverwaltung? Ich war überzeugt, daß die Handlung sich ausschließlich im Schoße der unwirtlichen Natur abspielte.
    »Jajaja...«, sagte ich, »überhaupt die Hauptverwaltung, das ist wirklich was. Und auch den Titel finde ich sehr gut.« Ich strebte weg von den Details.
    »Stimmt.« Efim war entflammt. »Der Titel ist mir wirklich gelungen. Verstehst du, es geht hier nicht einfach um einen Knochenbruch, das wäre platt und primitiv. Gleichzeitig vollzieht sich ein Bruch in den zwischenmenschlichen Beziehungen, ein Bruch in der Seele, ein Bruch im Bewußtsein, im Denken. Erinnerst du dich an die Stelle, wo sie ihn zum Krankenhaus tragen und hinter dem
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