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Die Moselreise - Roman eines Kindes

Titel: Die Moselreise - Roman eines Kindes
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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viel besser gefallen würden als die Konstantinbasilika. Papa hat sich das, was ich gesagt habe, angehört, aber er hat nichts dazu gesagt. Die Mama aber hat sich das, was ich gesagt habe, auch angehört, und dann hat sie gesagt: »Das finde ich auch. In dieser Kirche fühle ich mich nicht wohl.« Papa hat die Mama einen Moment lang angeschaut, als wollte er etwas gegen das, was Mama gesagt hatte, sagen, dann aber hat er nur gesagt: »Jetzt geht mal in Ruhe durch diesen uralten Bau und schaut Euch in Ruhe alles an.«

     
    Mama hat zu dem, was Papa gesagt hat, nichts gesagt, sondern nur ein wenig gelächelt, dann aber ist sie sehr langsam durch die Konstantinbasilika gegangen, als würde sie sich etwas anschauen. Ich aber bin neben Mama gegangen, und auch ich bin sehr langsam gegangen. Es war aber so, dass es in der Konstantinbasilika gar nichts Richtiges zum Anschauen gab, keine Altäre und keine Bilder und keine Figuren und überhaupt keine Heiligen. Nach einigen Minuten sind Mama und ich deshalb wieder zu Papa gegangen, und Mama hat gesagt: »Weißt Du was, Josef? In dieser Kirche gibt es gar nichts zum Anschauen, rein gar nichts.« Da aber habe ich sofort bemerkt, dass Papa verärgert war, und da ist, weil Papa wohl verärgert war, etwas sehr Seltsames passiert. Papa hat sich nämlich geräuspert, und dann hat er gesagt: »Ich weiß auch, dass es in dieser Kirche anscheinend nichts zum Anschauen gibt. Es gibt aber doch etwas zum Anschauen, und zwar die Größe. Diese Kirche ist sehr groß, Ihr glaubt gar nicht, wie groß diese Kirche ist. Man könnte die Porta Nigra mehrmals in diese Kirche packen, so groß ist diese Kirche. Und wißt Ihr, warum sie so groß ist? Na, habt Ihr Euch das mal überlegt? Sie ist so groß, damit man in dieser Kirche überall jeden Laut, der vorne gesprochen wird, verstehen kann. Und das, genau das, ist das Besondere an dieser Kirche, dass man jeden Laut so gut verstehen kann wie in kaum einer anderen Kirche.«
     
    Kaum war Papa aber fertig mit seinem Erklären, hat er gesagt: »Und jetzt hört mal genau hin!«, und dann hat er sich aufgerichtet und den Anfang von »Großer Gott, wir loben
Dich« gesungen, sehr laut, mitten in der Konstantinbasilika. Die anderen Menschen, die in der Konstantinbasilika waren, haben sofort aufgehört zu sprechen und zu Papa hingeschaut, und ich habe mich etwas gefürchtet, weil ich gedacht habe, dass die anderen Menschen vielleicht Papa ausschimpfen oder dass sie ihn vielleicht sogar für verrückt halten würden, weil Papa doch mitten in der Konstantinbasilika zu singen begonnen hat. Vor lauter Furcht bin ich zu Mama gegangen und habe mich neben sie gestellt, Papa aber hat einfach noch etwas weiter gesungen: »Herr, wir preisen Deine Stärke. Vor Dir neigt die Erde sich, und bewundert Deine Werke.« Da aber haben einige der anderen Menschen, die noch in der Konstantinbasilika waren, auch angefangen zu singen, und sie haben »Großer Gott, wir loben Dich« mit Papa zusammen gesungen, und zwar Strophe für Strophe, das ganze Lied bis zum Schluß. Und danach haben einige der anderen Menschen, die mitgesungen haben, sogar geklatscht und sind zu Papa hin gegangen und haben sich mit ihm unterhalten und sich bei ihm bedankt, dass er »Großer Gott, wir loben Dich« gesungen hatte.
     
    Ich war sehr froh, dass Papas Singen so gut ausgegangen war, Mama aber fand Papas Singen wohl nicht so gut, denn sie ist dann zu Papa hin gegangen und hat zu ihm gesagt: »Josef, das war wirklich nicht nötig. Dass die Kirche groß ist, hätten wir Dir auch ohne Deinen Gesang geglaubt.« Da aber hat Papa, weil er vielleicht noch immer etwas verärgert war, gesagt: »Mia, manchmal muss man einfach einmal laut und deutlich singen. Das ist besser als Kleinmut, und außerdem
begreift dann jeder, wie groß diese Kirche wirklich ist.« Als Mama das Wort »Kleinmut« gehört hat, hat sie wieder gelächelt, und dann hat sie zu Papa gesagt: »Also gut. Du hast sehr schön gesungen. Wir sind stolz auf Dich!« Ich war sehr erstaunt, dass Mama das gesagt hat, denn ich hatte gedacht, dass das Wort »Kleinmut« Mama ärgern würde. Es hatte Mama aber wohl nicht geärgert, denn sie war danach weiter sehr freundlich zu Papa, und so sind wir sehr fröhlich aus der Konstantinbasilika hinaus gegangen.
    Papa singt
    Es ist schon mehrmals vorgekommen, dass Papa plötzlich laut gesungen hat. Einmal habe ich mit Papa in der Nister geschwommen, da hat er plötzlich ganz laut gesungen. Und einmal waren
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