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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen
Autoren: Wolf Serno
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    »Willkommen auf Greenvale Castle, Mylord!« Die Köchin, die auf der zweitobersten Stufe stand, machte einen tiefen Knicks, geriet dabei ins Schwanken und wäre Vitus fast in die Arme gefallen. Doch focht sie das kleine Missgeschick nicht lange an; sie rappelte sich wieder hoch und rief, über das ganze, sonst so sauertöpfische Gesicht strahlend: »Der Herr ist zurück! Ach, Gott, der Herr ist zurück! Dass ich das noch erleben darf. Was koche ich nur? Ich habe ja gar nichts vorbereitet. Habe nur ein paar eingelegte Schweinshaxen und sonst nichts. Kein Braten, kein Wildbret, keine Pastete, nicht einmal meinen berühmten Mandelkäse. Entschuldigt, Mylord, ich muss sofort zurück in die Küche!«
    »Macht keine Umstände, Mrs. Melrose!«, rief Vitus ihr hinterher. »Ich esse im Grünen Salon!«
     
    Dafür, dass die eingelegten Schweinshahxen nur ein Notbehelf waren, wie Mrs. Melrose ein ums andere Mal betonte, schmeckten sie ausgezeichnet. Vitus ließ es sich munden, bedächtig umsorgt von Mary, die Speise und Trank mit schneckengleichen Bewegungen heran- und wieder forttrug. Plötzlich klopfte es gegen die Tür, und Catfield erschien auf der Bildfläche, das sonst so ernste Gesicht von einem freudigen Schimmer überzogen. »Oh, Ihr esst noch, Mylord, verzeiht, ich dachte, Ihr wäret fertig.«
    »Kommt näher, Catfield, ich freue mich ehrlich, Euch zu sehen. Wie geht es Eurer jungen Frau?«
    »Danke der Nachfrage, Mylord, sehr gut. Wie überhaupt alles auf dem Schloss zur Zufriedenheit läuft. Wenn Ihr wollt, trage ich Euch nachher das Wichtigste vor.«
    Vitus nahm den letzten Bissen, spülte die Speise mit einem Schluck Roten hinunter und wischte sich den Mund ab. »Das kann bis morgen warten.«
    »Wie Ihr befehlt, Mylord, aber verratet mir wenigstens, ob Euch der Brief von Pater Thomas erreicht hat. Ich schickte ihn Euch hinterher, zusammen mit einem Begleitschreiben.«
    »Ja, er hat mich erreicht, wenn auch erst in Campodios.«
    »In Campodios? Verzeiht, Mylord, aber das war doch gar nicht Euer Ziel?«
    Nun konnte Vitus nicht anders, er hob die Tafel auf und bat Catfield, ihn in das Kaminzimmer zu begleiten, wo er ihm in kurzen Zügen die Erlebnisse von eineinhalb Jahren schilderte. Catfield hörte staunend zu und rief immer wieder aus: »Wie gerne wäre ich dabei gewesen, Mylord, aber seit ich meine Anne habe, ist es mit Abenteuern aus und vorbei!«
    »Ihr habt ja jetzt das Abenteuer der Ehe«, sagte Vitus lächelnd. Er hatte seine Liebe zu Nina absichtlich verschwiegen, weil er fand, dass sie niemanden etwas anging.
    Catfield stand irgendwann einmal auf, da er bemerkte, wie müde sein Herr war, und empfahl sich mit den Worten: »Vor ein paar Tagen ist für Euch ein Paket angekommen, Mylord. Morgen früh will ich es Euch zeigen.«
    »Ein Paket? Was ist denn drin?«
    »Ich weiß es nicht genau, denn ich habe es selbstverständlich nicht geöffnet.«
    »Selbstverständlich nicht.«
    »Aber ich vermute, es sind Bücher.«
     
    Nach einer morgendlichen Stärkung, die er wiederum im Grünen Salon einnahm, widmete Vitus sich dem Paket. Es erwies sich als eine Sendung aus Padua, dessen Inhalt tatsächlich aus Büchern bestand. Professor Girolamo hatte ein Dutzend Ausgaben von
De Causis Pestis
geschickt, zusammen mit einem herzlichen Brief. Obwohl Vitus schon das Werk, das Walsingham ihm geschenkt hatte, besaß, war es anders und aufregend, plötzlich so viele Exemplare in den Händen zu halten. Er verwandte einige Zeit darauf, in ihnen zu blättern, musste sich dann aber losreißen, denn die Leute auf Greenvale Castle hatten ein Recht darauf, dass er sich ihnen zeigte.
    Kurz darauf stellte er sich auf die Freitreppe und begrüßte sie offiziell als Vitus von Collincourt, Earl of Worthing. Seine Worte wurden mit Freude, ja, sogar mit Jubel aufgenommen. Später jedoch, als er von der neuen Sauberkeit sprach, die von nun an überall herrschen sollte, und von der Notwendigkeit, dass jeder seine Leibwäsche häufiger wechselte, auch mit Verwunderung. Er erklärte ihnen mit einfachen Worten die Gründe dafür, und alle gelobten, sich daran zu halten, auch wenn manch einer im Stillen den Kopf schüttelte.
    Nachdem sich die Versammlung aufgelöst hatte, fasste er sich ein Herz und tat das, was er eigentlich schon am Abend zuvor hatte tun wollen: Er ging zur Familiengruft und sprach am Grab des alten Lords ein langes Gebet. Dann, zögerlich, schritt er hinüber zu der granitenen Grabplatte, auf der Arlettes Name
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