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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen
Autoren: Wolf Serno
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England wird sie dazu nicht zwingen können. Macht ist immer eine Frage der Durchsetzungsmöglichkeit, und wie sollte ich kontrollieren, ob sich meine zwei Millionen Untertanen täglich reinigen …
    Doch werde ich dir nicht auf die Nase binden, dass selbst mir Grenzen gesetzt sind, und etwas anderes ansprechen. »Bevor Ihr zu mir kamt, Cirurgicus, wart Ihr bei Staatssekretär Walsingham?«
    »So ist es, Majestät.«
    »Ich nehme an, er sprach mit Euch über den Einsatz von
Pulex pestis
als Waffe?«
    »Das tat er.«
    »Was habt Ihr im Einzelnen erörtert?«
    Der Tonfall Elisabeths ließ Vitus aufhorchen. Gab es Meinungsunterschiede zwischen ihr und dem Staatssekretär in dieser Hinsicht? Er musste sich hüten, zwischen die Mühlsteine zweier so ausgeprägter Machtmenschen zu geraten. Doch was sollte er antworten? Nichts als die Wahrheit. Das würde das Beste sein … »Ich sagte dem Staatssekretär, dass der Einsatz von
Pulex pestis
für Englands Feinde durchaus Tod bringend sein könnte, warnte ihn aber vor den Folgen. Meiner Meinung nach ist die Gefahr der Selbstvernichtung dabei ebenso groß. Ich denke, wer mit dem Feuer spielt, kommt darin um, Majestät.«
    »Ich freue mich, dass Ihr so denkt. Die Vorstellung, dass meine Soldaten demnächst mit Flöhen im Gepäck kämpfen werden, ist mir widerlich. Sollte der Staatssekretär an Euch herantreten und weiteren Rat erbitten, verbiete ich Euch, ihn zu erteilen.«
    »Wie Majestät befehlen.« Vitus verbeugte sich.
    Elisabeth sah es mit Befriedigung. Adel kommt eben doch von edel, dachte sie. Der junge Collincourt hat sich seiner Abstammung als würdig erwiesen. Wenn ich es recht bedenke, sind wir Tudors sogar um einige Ecken mit den Collincourts verwandt – wie mit fast allen Häusern des Hochadels. Ich glaube, irgendein lange verstorbener Vetter meines Großvaters mütterlicherseits, des Earl of Wiltshire, war mit einer Collincourt vermählt.
    Elisabeth wollte zum Schluss der Unterredung kommen und überlegte, ob die Höflichkeit es erforderte, ihren Besucher für die sich anschließende Mittagstafel einzuladen. Das Mahl fand täglich in ebendieser Audienzhalle statt und bedurfte zahlreicher Vorbereitungen, bevor es eingenommen werden konnte. Sie liebte diese Vorbereitungen keineswegs, aber sie waren notwendig, allein schon, um die hochrangigen Gäste und Diplomaten zu beeindrucken und um die Vergiftungsgefahr auszuschließen. Nachdem die Leibgardisten die Tafel aufgebaut hatten und diese von zwei Bediensteten symbolisch mit Brot und Salz eingerieben worden war, trugen sie zahllose vergoldete Platten mit den unterschiedlichsten Speisen heran – natürlich nicht, ohne sich dabei mehrfach zu verbeugen. Alsdann gaben die Trompeter und Trommler das Signal, um die Teilnehmer herbeizurufen.
    Bevor den Köstlichkeiten jedoch zugesprochen werden durfte, wurden sie auf Verträglichkeit überprüft. Dazu erschien eine Edeldame, die mehrmals den Hofknicks ausführte, anschließend einen Probierlöffel hervorzog und von jeder einzelnen Speise kostete. Danach war es Aufgabe der Königin, die zu servierenden Speisen auszuwählen … Welch lästiges Ritual! Elisabeth konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt eine warme Speise zu sich genommen hatte.
    Spontan entschied sie sich, den jungen Collincourt nicht einzuladen. Er sah viel zu gut aus, als dass er mit am Tisch hätte sitzen dürfen. Schon jetzt tuschelten die Hofdamen über ihn, und die Ehrenjungfrauen steckten die Köpfe zusammen. Sie bildeten sich tatsächlich ein, sie würde es nicht merken. Elisabeth nahm sich vor, später ein ernstes Wort mit den jungen Damen zu reden. Es wurde wieder einmal Zeit. Von Fall zu Fall pflegte sie Maulschellen auszuteilen oder – noch drakonischer – die Sünderin zurück auf die Güter ihrer Familie zu schicken. Es war sogar schon vorgekommen, dass sie Eheschließungen untersagt hatte, dies besonders dann, wenn die zarten Bande hinter ihrem Rücken geknüpft worden waren.
    Nein, der junge Collincourt würde nicht an der Mittagstafel teilnehmen, und er würde auch nicht am Hofe leben. Das hatte sie längst entschieden. Zwar war er, wie man hörte, ein begnadeter Arzt, aber als Königin erwartete sie Begleiter, die über Musik, Kunst und Literatur gleichermaßen kurzweilig zu plaudern verstanden, und ebendiese Eigenschaften waren bei einem Cirurgicus kaum zu erwarten. Im Übrigen gab es auf Whitehall schon genug Schranzen, Mitläufer und Speichellecker, die allesamt nur Geld
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