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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen
Autoren: Wolf Serno
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freuen.
     
    Nach weiteren zwei Wochen erhielt Vitus endlich einen Brief. Zu seiner Enttäuschung war er nicht von Nina, sondern von Walsingham, der ihm antwortete, seine Anregungen zur Pestvorbeugung seien höchst interessant, weshalb er außerordentlich dankbar dafür sei. Allerdings habe er seine Zweifel, was die Durchsetzbarkeit der Maßnahmen betreffe. Andere Maßnahmen, Mylord wisse schon, welche er meine, seien seiner Ansicht nach viel leichter durchzuführen und könnten ungleich mehr für England bewirken.
    Vitus antwortete postwendend, ging aber nicht auf die angedeuteten Kriegsmöglichkeiten mit
Pulex pestis
ein, sondern schrieb vielmehr von seinen Schwierigkeiten in Worthing und machte weitere Vorschläge zur Sauberkeit und Gesundheitspflege in großen Städten.
    Er schrieb einen weiteren Brief an Nina und auch einen an Girolamo, übergab alle Botschaften einem Kurier und machte, da er nichts anderes vorhatte, einen langen Spaziergang um die Stallungen, die Werkstätten und die Schuppen. Gern hätte er dabei Begleitung gehabt, aber alle waren beschäftigt. Jeder auf dem Schloss hatte seine festgelegte Aufgabe.
    Nur er hatte keine.
     
    Abermals zwei Wochen später, wie immer im Grünen Salon das Morgenmahl einnehmend, sagte er sich, dass es so nicht weiterging. Man schrieb schon Anfang September, und er versauerte allmählich, fühlte sich wie ein Fuchs in der Falle und musste ohnmächtig abwarten, bis endlich ein Lebenszeichen von Nina oder den Freunden eintraf – wenn es denn überhaupt kam. Höchste Zeit zu handeln! Er warf das Mundtuch auf den Tisch und ließ nach Keith schicken.
    »Was kann ich für Euch tun, Mylord?«, fragte der junge Stallmeister wenig später, die Kappe in der Hand drehend.
    »Lass mir Odysseus satteln.«
    »Jawohl, Mylord.«
    »Und zwei Ersatzpferde. Es müssen gute Renner sein. Ich habe einen langen Ritt vor mir.«
    Nachdem Keith fortgeeilt war, ging Vitus in seine Gemächer, packte aus alter Gewohnheit seine Kiepe, verstaute seine Arztkiste, nahm den mannshohen Stecken und schritt hinaus aus dem Schloss und hinüber zur alten Familiengruft.
    »Arlette«, sagte er, sich bekreuzigend, »du bist die Einzige, die mich hier wirklich kennt, die Einzige, der ich mich anvertrauen kann. Ich halte die Untätigkeit nicht länger aus. Ist es richtig, wenn ich reite?«
    Lange horchte er in sich hinein, denn er wusste, dass ihre Stimme noch immer in ihm war, ihre Klugheit, ihre Lebhaftigkeit, ihre Zuversicht.
    Dann kannte er die Antwort.
    Er beugte sich hinunter und küsste die Grabplatte, auf der ihr Name stand.
     
    »Und Ihr wollt uns tatsächlich verlassen, Mylord?« Catfield hielt Odysseus am Zügel. »So plötzlich?«
    »Ja, Catfield. Die Sorge um meine Freunde lässt mir keine Ruhe.« Dass er sich um Nina mindestens ebenso sorgte, sagte Vitus nicht. »Ich will übers Meer zurück ins Spanische, dort werde ich meine Gefährten auftreiben, wenn sie noch leben und es dem Allmächtigen gefällt.«
    »Jawohl, Mylord. Aber was soll ich den Leuten sagen? Sie sind doch alle so froh, dass Ihr da seid!«
    »Sagt Ihnen die Wahrheit, Catfield. Einfach die Wahrheit. Wenn alles gut geht, bin ich im Frühjahr wieder zurück.« Vitus schickte sich an aufzusitzen. Er griff zum Sattel und stocherte mit der Stiefelspitze nach dem Steigbügel. Odysseus schnaubte unternehmungslustig.
    Catfield klopfte dem Hengst beruhigend den Hals und sagte: »Vielleicht solltet Ihr noch einen Augenblick warten, Mylord, da kommt eine Kutsche.«
    »Eine Kutsche?« Vitus schaute in die angegebene Richtung und sah einen Zweispänner auf dem ausgefahrenen Überlandweg heranrollen. »Wer kann das sein?«
    »Ich habe keine Ahnung, Mylord, noch nie sah ich dieses Gefährt hier.«
    Die Kutsche, von einem grauhaarigen Alten gelenkt, war unterdessen zum Stehen gekommen. Der Alte stieg ab, ohne Vitus oder Catfield eines Blickes zu würdigen, öffnete die Tür und klappte einen Tritt herunter. Gleich darauf half er einer jungen Frau heraus. Die Frau war blass und blond und sah nicht gerade so aus, als habe sie das Pulver erfunden. Dafür aber, gewissermaßen als Ausgleich, spannte ihr ein üppiger Busen das Kleid.
    »Wie strömt’s da draußen, Milchmuhme?«, fistelte plötzlich ein Stimmchen von drinnen. »Wart, der Altlatz un’s Schäfchen walzen raus!«
    Tatsächlich erschien Augenblicke später der Zwerg, im Arm Klein-Nella, die er der Amme sogleich übergab. »Duften Zefir un kronig Jamm, allerseits!«
    »Was lange währt,
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