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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin
Autoren: César Aira
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Wolken zwischen etwa sechs und acht den Stoff für eine Art Roman abgeben könnten, stets vorausgesetzt, der Autor hielte sich an den striktesten Realismus, und dieser Roman, ein formloses Bündel atmosphärischer Farben, ein Hinübergleiten und Fließen, wäre die Apotheose der Sinnlosigkeit des Lebens. Warum auch nicht? Eine maßlos dumme Sage; die Welt war reif genug, sie zu empfangen, oder jedenfalls würde sie es sein, wenn er sie zu Ende geschrieben hätte. Jeden Abend ließ er sich von diesem banalen täglichen Chaos leidenschaftlich fesseln und träumte. Seit Kindheitstagen war er ein eifriger Romanleser, seine Lieblingsbücher waren Abenteuergeschichten aus fremden und wilden Gegenden, und jetzt befand er sich selbst in einer solchen Szenerie, stellte fest, dass es im Lauf der Abenteuer auf die exakte Wiederholung der Tage ankam. «Abenteuer», so sagte er sich, «sind Abenteuer der Langeweile.»
    Er war der Einzige, der nichts sah, obwohl er gute Augen hatte; die angezeigte Richtung lag genau im Brennpunkt des Sonnenuntergangs, der ihn zu sehr blendete. Aber ein paar Stunden später, als der Leutnant Befehl zum Halten gab, konnte er eine Reihe von Hütten erkennen, die man auf einem schier endlosen Areal errichtet hatte. Er fragte Lavalle, was das für eine seltsame Form sei, die da am Horizont aufscheine.
    Er antwortete ihm, das sei das Fort.
    «Aber das muss ja riesig sein!»
    «Eigentlich nicht. Man verliert hier das Gefühl für Proportionen.»
    Gleich im Anschluss lud er ihn ein, in Azul mit ihm zu Abend zu essen. Obwohl das plötzliche Entgegenkommen ihn überraschte, nahm er freudig an und hoffte, er werde die Lageraufstellung und die Wachablösung befehlen, Pflichten, denen der Leutnant mit notorischem Widerwillen nachkam. Sie galoppierten los, nur sie beide, im letzten Licht des Tages.
    Man könnte sagen, dass Azul damals ein typisches Wüstennest war: nicht mehr als vierhundert Weiße, fast alle in einer höfischen Festung versammelt, und fünf- bis sechstausend friedliche Indianer, die als Mädchen für alles herhielten, während ihre Herren einen Müßiggang kultivierten, der mit wirtschaftlichen oder militärischen Träumereien ausgefüllt war. Die einheimischen Indianerhütten lagen zerstreut zwischen den kleinen Nebenläufen eines grauen Flusses, der sich Richtung Süden dahinschleppte und von dessen Wasser die Weißen nicht tranken, weil sie fanden, es habe einen brackigen Beigeschmack, so dass sie ihren Durst lieber mit Wein und Schnaps stillten, mit den zu erwartenden Folgen. Im Zentrum stand das Fort, ursprünglich ein viereckiger Palisadenbau mit Wachtürmen an den Ecken, den man mittlerweile in alle Himmelsrichtungen erweitert hatte, da immer mehr interne Bedienstete unterzubringen waren; inzwischen wirkte es wie ein Turm zu Babel oder mehr noch wie eine bunt zusammengewürfelte Spielzeugstadt mit winzigen Hütten, die von den Mauern hingen, formlosen Wabengebilden aus Zimmern, die man in der Höhe angebaut hatte, hängenden Brücken und Übergängen, auf denen die Kinder herumtollten und wo die Frauen an windigen Schnüren Wäsche aufhängten.
    Als es ihm gelang, den Blick von dieser phantastischen Konstruktion loszureißen, wurde Duval klar, dass sie durch die Viertel der Wilden gingen, von denen viele friedlich auf dem Boden saßen, mit Zigarren zwischen den Fingern und einem Gesichtsausdruck, der zu erkennen gab, dass sie den beiden vorüberziehenden Fremden mit absoluter Gleichgültigkeit begegneten. Es war das erste Mal, dass er Indianer sah, und er hätte sie gerne eingehender betrachtet, aber der Leutnant sauste wie der Blitz davon, und er wollte nicht alleine zurückbleiben.
    Das Fort hatte keine Tore. Sie ritten im Schritt durch ein Barackenlabyrinth, bis sie zur Kommandantur kamen, einem imposanten Steinbau mit zwei asymmetrischen Flügeln. Ein vor der Tür postierter Wilder kümmerte sich um die Pferde, die ihm sichtlich gefielen. Lavalle klopfte sich den Staub aus der Uniform und zog die Handschuhe aus. In herrischem Ton befahl er einem Unteroffizier, ihn beim Oberst zu melden. Wie es die Etikette vorschrieb, führte sie ein Leutnant durch die langen Korridore zu einem fast im Dunkeln liegenden Vorzimmer, wo er sie eine Minute warten ließ.
    Im Büro des Kommandanten erleuchteten zwei Petroleumlampen aus roséfarbenem Kristall das wuchtige Mobiliar aus Mahagoniholz und Bronze. Oberst Leal war ein kleiner vornehmer Greis mit weißem Haar und einem traurigen und gütigen
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