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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin
Autoren: César Aira
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von dem grauenvollen Matetee, von dem er Bauchkrämpfe bekam und das ständige quälende Bedürfnis zu pinkeln.
     
     
    Er hatte sich neben den Leutnant gesetzt, der ihm höchst unsympathisch war; aber er war der Einzige, mit dem er Französisch sprechen konnte, und es würde noch lange dauern, bis er imstande wäre, eine Unterhaltung auf Spanisch zu führen; er war immer weniger zuversichtlich, die Sprache eines Tages zu beherrschen, zumal er kaum Gelegenheit hatte, sie zu lernen in dieser Einsamkeit, unter all den viehischen Wesen, die sich über Grunzlaute verständigten, und er auch wusste, dass an der Grenze ein halb indianischer Dialekt gesprochen wurde, so dass er noch einmal ganz von vorn würde beginnen müssen.
    Nach einer Weile setzte der Leutnant jedoch ein etwas weniger hämisches Grinsen auf, um ihm mit gewollter Barschheit eine Information zu geben, die ihn aufschreckte:
    «Heute Abend sind wir in Azul, dann können Sie sich satt essen.»
    «Was? Heute Abend?», stotterte Duval, der sich erneut der bitteren Tatsache bewusst wurde, wie wenig er über Maß und Ziel der Reise unterrichtet war. Fort Azul war die letzte Station, und obwohl er die Ankunft schon wochenlang herbeisehnte, erfuhr er erst jetzt, dass sie schon so nah waren. Er versuchte seine Erregung zu bändigen, indem er sich die Hände rieb. Die anderen Offiziere nahmen weiterhin keine Notiz, als würden sie in einer anderen Sprache gesprochene Worte gar nicht wahrnehmen. Er wartete auf eine nähere Erläuterung, aber es kam nichts.
    «Um wie viel Uhr kommen wir an?»
    Der Leutnant zuckte bloß die Schultern und spuckte aus. Er zog ein Etui mit dünnen, aus einem Blatt gerollten Zigarren heraus und bot ihm eine an, ohne ihm in die Augen zu sehen (das tat er nie). Durch den Rauch hindurch, der sich im Nieselregen auflöste, beobachtete Duval ihn mit unverhohlener Neugierde. Vor der Reise hatte ihm jemand erzählt, Leutnant Lavalle gehöre einer sehr reichen Familie von Großgrundbesitzern an und sei an französischen und englischen Gymnasien unterrichtet worden; alles Dinge, die ihn nicht darauf vorbereitet hatten, auf eine so intensive Leidenschaft für die unzähligen Formen der Grausamkeit zu stoßen, ganz im Gegenteil. Man spürte bei ihm ein barbarisches Vergnügen, das selbst den primitivsten Soldaten abging und vielleicht auch den Strafgefangenen, die schon nichts Menschliches mehr an sich hatten. Von Anfang an hatte er sein absolutes Desinteresse an der Natur als eine krankhafte Gemütsstörung empfunden: Er konnte keinen Vogel vom andern unterscheiden, und auch keine Ratte von einem Hasen und keinen Klee vom Eisenkraut – eine Blindheit, die schon an Schwachsinn grenzte, eine Art verkehrte Manie, die einem unfreiwilligen Begleiter Grauen einflößen konnte. Obgleich auch die Möglichkeit bestand, dass seine falschen Antworten nichts anderes waren als ein weiteres verqueres Zeichen von Humor.
    Er rauchte und trank weiter, ohne ihm noch Beachtung zu schenken. Das Himmelsgrau hatte sich wieder weiß gefärbt, und über dem Horizont sah man schräge Streifen die Atmosphäre kreuzen, gelb von der Sonne oder blau vom Regen. Die Soldaten dösten vor sich hin, mit voll geschlagenem Bauch. Duval entfernte sich, ging an den Karren entlang und versuchte, gegen das Schwächegefühl anzukämpfen, das die Übelkeit bei ihm hinterlassen hatte. Bei allen Rasten war es ihm ein Bedürfnis, so viel wie möglich zu laufen, auch wenn die Müdigkeit im Laufe der Tage immer mehr zugenommen hatte, bis er sie schließlich in jedem Knochen spürte. Laufen war das einzige ihm zur Verfügung stehende Mittel gegen die Schwermut, in die ihn der ständige Kontakt mit den Pferden versetzte, die so verschieden waren von denen, die er in Europa geritten hatte, dass er manchmal seine Zweifel bekam, ob sie überhaupt derselben Gattung angehörten. Die einheimische Pferderasse war ein Widersinn, ein Fauxpas der Tierwelt, und von den vielen Überraschungen, welche die Reise ihm bescherte, war diese die größte. Er hatte schon dreimal das Pferd gewechselt, hatte die sterbenden eingetauscht (eines war ihm unter den Beinen weggestorben, weil eine winzige tanzende Motte einen Hüpfer gemacht hatte) gegen andere, weniger zartbesaitete, unförmige Brocken aus Eingeweiden und Fell und struppigen Mähnen, die nur von der Angst zusammengehalten wurden. Jetzt entfernte er sich, so weit er konnte, von der Herde, betrachtete seine Stiefel und die Grasbüschel. Die Ochsen fand er
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